Krank muss es sein

Die gewollte Revolte ist keine: Mit seinem neuen Album „Blitzkrieg Pop“ versucht der Berliner Produzent Marco Haas alias T.Raumschmiere seinen Elektropunk-Sound zu perfektionieren

Truckercap, Totenkopf: T.Raumschmiere ist ein Wiedererkennungszeichen von Schweine-Techno

VON PATRICK BAUER

Kürzlich hat der Kleine zum ersten Mal gepogt. Marco Haas probte gerade mit seiner Band im Berliner Hallen-Club Maria, dort wo er einst als Tontechniker umsonst saufen durfte, als sein zweijähriger Sohn plötzlich begeistert vor der Bühne stand und zu hüpfen begann. Natürlich war es ein wenig zu laut für ihn, denn wenn sich Haas oder sein Gnarz-Ego T.Raumschmiere auf etwas spezialisiert hat, dann ist es Krach. Worauf sonst. Zu Hause aber verlangte der Nachwuchs fortan nach dem neuen Album, nach „Blitzkrieg Pop“ (Novamute/EMI) also, um sich auf seiner Matratze auszuchaoten. Marco Haas lächelt, streicht sich etwas verlegen über den borstigen Bart und sein Nasenring hebt und senkt sich. „Er gibt mir so viel Kraft“, sagt Haas ungewohnt unkrächzig.

Denn solche Momente sind wohl die wahren Freuden eines Punkvaters. Sicher, es ist auch umwerfend, nach einem exzessivem Wochenende vom Kinderstimmchen geweckt zu werden oder auf dem Spielplatz Pixibuch-Geschichten vorzulesen, doch die leidenschaftsschönste Geschichte, die Marco Haas kennt, ist die von Rausch, Rebellen und Rastlosigkeit. Es ist seine Geschichte. Die des T.Raumschmiere, passenderweise benannt nach einer Kurzerzählung von William S. Borroughs. Sie beginnt mit Heidelberger Provinzheldentum und ikonisiert sich momentan inmitten Berliner Überschwangs. Die angestrengt rotzige Moral: Punk may be dead, but I am fucking alive. Haas sagt: „Ich habe nie aufgehört zu rocken.“

Gleichzeitig hat er als T.Raumschmiere wohl noch nie so gerockt wie auf „Blitzkrieg Pop“. Oder: er hat noch nie so uncodiert gerockt. Denn das neue Album, dessen Titel schon an die Ramones und an jahrzehntealte Halbstarkenprovokation erinnert, ist bedenkenloser Future-Punk. Vorpreschende Songs, grundeinfach in ihrer Übermütigkeit, bewusst versifft im Aufbau und doch klassisch. Hier der Shouter, dort die Bridge, jetzt die Drums und eins, zwei, drei. Marco Haas lässt es sich nicht nehmen in drei Stücken persönlich seine Stimme zum Motor dieser analogen Ausraster zu machen. Und tatsächlich kommt Haas hier dem, was er den „lautesten Pop“ nennt, erfreulich nahe. Mit dem als Single ausgekoppelten „Sick like me“ sowieso: Es soll doch bitte recht krank sein.

„Ich bin ein Mensch, der zu Extremen neigt“, sagt Haas. Vielleicht darf deshalb Sandra Nasic, die seit dem Ende ihrer stets unterdurchschnittlichsten Band, nie vermisste Sängerin der Guano Apes, ein Stück bekrakeelen. Spätestens diese recht schmalschultrige Kollaboration könnte dann aber so manchen T.Raumschmiere-Anhänger verschrecken. Verärgern. All jene, die ihn zum König des Karacho-Technos kürten und sich von seinen bratzigen Beats besudeln ließen. T.Raumschmiere, das war Elektrowahnsinn mit Rocksymbolik. Nun ist es Rocksymbolik mit Elektrohintersinn.

„Aber das“, sagt Haas, „ist doch eine zyklische Entwicklung.“ Vom Jugendhaus-Drummer zum Elektrolabel-Betreiber und zurück zum Stagediver. In den ersten Jahren in Berlin, 1997 hatte er mit Marcus Stotz Shitkatapult gegründet, saß Haas nur vor dem Rechner. Er war fasziniert vom englischen Sound-Paranoiker Aphex Twin und tüftelte sich in ähnliche Klangwelten hinein: Loops anreihen, Samples verschieben, Synthesizerrauschen verunstalten. „Ich bin zwei Jahre nicht raus gegangen“, sagt Haas. Nicht in die großen Techno-Clubs, die er als kalt empfand. Und als aussagelos. Es fehlte die Show, die Personifikation der Boller-Beats. „So entstand natürlich Techno: Kill your idols“, sagt Haas.

Aber er wollte das Idol sein. Er wollte das Gesicht sein. Und er wurde es, ist es noch heute: Truckercap, Nietenarmband, großflächige Tatoos, eine übercoole Ranzigkeit und natürlich der Totenkopf. Auf dem Cover von „Blitzkrieg Pop“ bestehen die Knochen aus Tastaturen und Monitoren. T.Raumschmiere ist längst ein Wiedererkennungszeichen von Schweine-Techno. Ein mühsam trashiges Zitatemonster, fern von Elektroclash. Bis nach New York, wo er der „angry young kraut“ ist. „Ich wollte schon immer, dass die Elektro-Leute rocken“, sagt Haas. Dass die Show zurückkehrt, der Schweiß. T.Raumschmiere durfte das, durfte selbst mit seiner eigenen Band auf Techno-Festivals auftreten, die Brachialität entschuldigte ihn. Eventuell war es lustig, wichtig, einfach nur anders oder wirklich eine Befreiung für jene, „die mehr wollten als zwei Pillen und einen DJ“. Haas sagt: „Die waren dankbar.“ Er dagegen konnte lediglich nicht anders. Spielte auch parallel als Schlagzeuger in mehreren Bands, die Namen wie „Crackwhore Society“ tragen. Mit alten Pausenhof-Mitrockern aus Heidelberg, manche von denen waren auch an „Blitzkrieg Pop“ beteiligt.

„Elektronische Musik hat mich verändert“, sagt Haas. Hat ihn, den Berufspunker, zum Berufsfrickler gemacht. Typisch isoliert vor dem Bildschirm. Aber dabei am Whiskeyflaschenleeren. Typisch die Haudraufrolle in der Band. Aber mittlerweile im Geiste ein nie loslassender Ego-Produzent. Haas hat sich zwischen die Stühle gesetzt, er hat sie wahrscheinlich zerhauen. Somit ist „Blitzkrieg Pop“ nicht pur. Zunächst sind da auch Balladen, bei denen Techno-Diva Ellen Allien oder Haas’ Eigenentdeckung Judith Juillerat zärtlich singen dürfen. Zwischen der ganzen Engstirnigkeit bleibt Zeit für Changierungen, für Schönheit. Wichtiger aber: Haas’ Liebe zur Flächenerzeugung, zum klinischen Knistern und stoischen Klickern, seine Berlin-Sozialisation, bildet das stabile Gerüst für die Eskapaden. Er will gekonnt fusionieren.

Wahrscheinlich ist solch ein Powerbook-Punk das, was in 20 Jahren das Genre „Alternative“ füllt. Es passt leider zur Entwicklung von T.Raumschmiere: Die Ästhetisierung des Punk überdeckt nicht die Beliebigkeit. Für ein perfektes Rockalbum ist „Blitzkrieg Pop“ zu belanglos, für ein gutes T.Raumschmiere-Album zu rockig, zu gewollt in seinem revoltierenden Gestus. Manchmal wirft einen Punk ins Dilemma. Das merkt auch der kleine Sohn. Der wird nach dem Umhertollen zu Papas Musik ganz müde. Dann folgt der Mittagsschlaf.