WIE SIND WIR DENN DRAUF? : Schwärzer geht’s nicht
Da sind sie wieder. Lange waren sie weniger sichtbar, schienen verschwunden. Weil dieser Herbst so sonnig war, dass auch die dunkelsten Farben daran nicht viel ändern konnten. Weil es so sehr leuchtete auf Straßen und Plätzen, in Wäldern und Wiesen, als hätte sich der liebe Gott dieses Jahr Rilkes Bitte um „noch zwei südlichere Tage“ besonders angenommen. Jetzt aber sind sie sichtbarer denn je, passend zu den ersten richtig tristen Tagen und dem Start eines Monats, der mit Totensonntag, Buß- und Bettag und Volkstrauertag auch nicht gerade vor Freude sprüht: die Schwarzen.
Nicht etwa die mit solcher Parteizugehörigkeit oder Hautfarbe. Nein, es ist die Art und Weise der BerlinerInnen, sich in Tiefdunkel und Anthrazit zu kleiden. Gleich einer Trauergemeinde füllen sie S-Bahn-Steige im Dämmerlicht, Parks, die mit immer weniger Laub an den Bäumen ohnehin trister werden, Bürgersteige, die seit der Zeitumstellung sowieso eine Stunde früher eindüstern.
„Mein Beileid“, möchte man ihnen entgegenrufen, wenn einem fernab aller Friedhöfe ganze eingeschwärzte Gruppen entgegenkommen, dunkle Gestalten, neben denen selbst die Grauen Männer aus „Momo“ noch bunt wirken.
Wenn es mal bloß nur die Uniform des Schwarzen Blocks bei Demonstrationen wäre oder das Zwangsoutfit der Kreativen in Mitte. Doch die Vorort-Mutti in Zehlendorf steigt genauso in einen schwarzen Steppmantel gewandet vor der örtlichen Kita aus ihrem oft nicht minder schwarzen Auto.
Gleichzeitig haben aber auch genau die Menschen, die sich selbst so schwarz kleiden, Sehnsucht nach Wärme und Farben, die letztlich diese Wärme ausdrücken. Wie sonst wäre es möglich, dass nun so viele davon reden, sie wollten „noch mal Sonne tanken, bevor es hier ganz düster wird“. Auch in der günstigsten Variante kostet das immer noch ein paar hundert Euro. Mit einem gelben Schal, einer grünen Mütze oder einem roten Tuch für knapp fünf Euro im Angebot das schwarze Einerlei aufzubrechen – viel zu schlicht, viel zu billig. Ach, ist das alles traurig. Wo ist bloß mein schwarzer Anzug? STEFAN ALBERTI