: Pillen im Ausverkauf
Seit 2004 dürfen Apotheker den Preis von rezeptfreien Medikamenten selbst bestimmen. Nur ganz wenige aber nutzen die Möglichkeit, Billigangebote zu machen. Die Hamburger Apothekerkammer hält Rabatte für gefährlich
von Kristina Allgöwer
Wer in der Hamburger Innenstadt wohnt und bei Apotheker Amir Davani einkaufen will, hat einen weiten Weg vor sich: Er muss mit der U-Bahn bis zur Steinfurther Allee fahren. Vom Hauptbahnhof sind das neun Stationen. Dann weiter mit dem Bus bis zur Haltestelle Kohlbergen, knapp zehn Minuten zu Fuß bis zum Wal-Mart-Center und an 27 Supermarktkassen vorbei. Und obwohl das ein Weg von bis zu 45 Minuten ist, nehmen ihn viele Hamburger auf sich: Bei Amir Davani in Oststeinbek gibt es mehr als 100 apothekenpflichtige Medikamente zu drastisch reduzierten Preisen.
Seit Januar 2004 dürfen Apotheker in Deutschland die Preise von nicht rezeptpflichtigen Medikamenten selbst festlegen. Nur wenige machen jedoch davon Gebrauch. Eine Analyse des Pharma-Informationsdienstes IMS Health am Beispiel von 50 Präparaten hat gezeigt, dass sich die Preise seither kaum verändert haben. „Die Unterschiede im durchschnittlichen Preisvergleich bewegen sich im Rahmen eines Fünf-Prozent-Spielraums“, sagt IMS Health-Sprecherin Gisela Maag. „Mehrheitlich orientieren sich die Apotheker an den Empfehlungen der Hersteller.“
Amir Davani hat die Preise in der Apotheke im Wal-Mart-Center sofort nach der Freigabe um 30 bis 40 Prozent gesenkt. An beinahe jedem Regal in der Oststeinbeker Apotheke hängt ein roter Zettel mit der Aufschrift „Aktionsangebot“.
Die Apothekerkammer Hamburg lehnt den Preiswettbewerb bei Medikamenten ab, da er zu Mehrverbrauch oder Missbrauch führe. „Diese Gefahr hat der Gesetzgeber ignoriert, als er die festen Abgabepreise für die nicht verschreibungspflichtigen, apothekenpflichtigen Arzneimittel aufgehoben hat“, sagt Kammer-Geschäftsführer Reinhard Hanpft. Die Politik habe die Warnungen der Kammern nur als „Lobbyistengeschrei“ abgetan.
Amir Davani glaubt nicht, dass seine Kunden durch die günstigen Preise zu unnötigen Mehrkäufen angeregt würden: „Wir raten unseren Kunden immer, zunächst mal nur eine Packung mitzunehmen.“ Die Preise kann er niedrig halten, weil er mit den Pharmafirmen verhandelt und große Mengen bestellt. Bei manchen Produkten nimmt er auch Verluste in Kauf: Ein Blutzucker-Messgerät bietet er für 9,98 Euro statt für 44,90 Euro an. „Hier geht es darum, möglichst viele versteckte Zuckerkranke zu finden, und nicht ums Verdienen“, versichert Davani. Und nebenbei hofft er auch, durch solche Angebote neue Kunden zu gewinnen, die ihn künftig öfter im Geschäft besuchen.
Auch in einer Apotheke in der Innenstadt konnte man vor einigen Monaten besonders günstig einkaufen – allerdings vom Besitzer unbeabsichtigt. Nach einem falsch recherchierten Pressebericht verlangten die Kunden der Apotheke in Rothenbaum Mittel zu Preisen, die Apotheker Jörg Dumke eigentlich nur bei Vorbestellungen per Telefon oder Internet vorgesehen hatte (www.apo-rot.de). Um die Kunden nicht zu verprellen, gewährte er für einige Wochen die Billigpreise. Inzwischen ist er aber zu seiner alten Praxis zurückgekehrt. „Bei Vorbestellungen können wir so günstig anbieten, weil wir einen Tag Zeit haben, die Medikamente maschinell zur Abholung vorzubereiten“, erklärt Dumke, die müssten dann nicht von teuren Fachkräften herausgesucht werden.
Amir Davani bietet ebenfalls eine Online-Vorbestellung auf seiner Website an (www.avisina.de). Auch wirbt er mit Zeitungsanzeigen für seine günstigen Produkte. Ob sich die Konkurrenz daran stört, interessiert ihn nicht: „Dafür bin ich zu sehr mit meinem Job beschäftigt.“ Ärgerlich findet er aber die Vorschriften, welche Werbung behindern würden. So dürfen Apotheker die Worte „Rabatt“ und „Gutschein“ nicht verwenden. Aktuell laufen gegen Davani zwei Prozesse. Wer eine „werbeaktive“ Apotheke führen wolle, meint er, „soll am besten auch noch Jura studieren“.