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Archiv-Artikel

„Korea steht für ganz große Offenheit“

Im Umgang mit kulturellen Werten kann Berlin einiges von Korea lernen, meint Johannes Odenthal vom Haus der Kulturen der Welt. Und: Von dem Newcomer auf Europas Bühnen und seiner Kultur wird bald überall die Rede sein

taz: Herr Odenthal, Korea und Deutschland, das ist eine unerwiderte Liebe. In Korea schätzt man deutsche Literatur und liebt unsere Musik. Wir hingegen wissen nichts über Korea. Kann sich das durch die Asien-Pazifik-Wochen ändern?

Johannes Odenthal: Absolut, da bin ich sicher, auch wenn man das nicht überschätzen darf. Das Haus der Kulturen hat ja schon 1998 einen Koreaschwerpunkt veranstaltet, danach änderte sich zunächst noch nichts. Wichtig wird in diesem Jahr aber auch die Frankfurter Buchmesse mit dem Schwerpunktland Korea.

Die Deutschen flirten viel lieber mit China und Japan. Korea bleibt da außen vor. Warum?

Korea ist in Europa einfach immer noch ein unbekanntes Land. Das ist eine Tragik, die in Asien selbst angelegt ist. Korea ist stets aufgerieben worden zwischen diesem mächtigen China und dem in die Moderne stürmenden Japan. Korea hatte da nur eine einzige Chance, nämlich auf Basis der eigenen Sprache, des eigenen Alphabets Hangul und anderer Kulturgüter seinen eigenen Weg in die Moderne zu definieren – immer im Schatten der beiden übermächtigen und kolonisierenden Nachbarn.

Sie sagen, Korea ist eine wichtige Kulturnation, in welcher Hinsicht?

Es ist mittlerweile bekannt, dass es zum Beispiel großartige koreanische Regisseure gibt, die sich auf den internationalen Filmfestivals durchsetzen. Unser Bekanntwerden mit Korea ist ein langsamer Prozess, der aber unaufhaltsam ist, weil die Qualität der künstlerischen Produktionen dort so unglaublich hoch ist. Ich bin sicher, dass Korea sehr bald neben Japan, China und Indonesien als eine wichtige Kultur wahrgenommen wird. Korea hat zum Beispiel eine sehr starke Video- und Installationskunst-Szene. Aber nicht nur über den Film, sondern auch über die Performing Arts, die Literatur und die bildende Kunst wird man sprechen. Der koreanische Pavillon auf der Biennale in Venedig war sogar herausragend.

Korea hat sich schon lange als Hightech-Land einen Namen gemacht, jeder kennt Hyundai und Daewoo. Wie kommt es dann, dass die Asien-Pazifik-Wochen mit Bauerntänzen und schamanistischen Ritualen eröffnet werden?

Die koreanische Kultur ist viel weniger exklusiv als zum Beispiel die deutsche. In der Hauptstadt Seoul sind allein um die 40 verschiedene christliche Kirchen aktiv, gleichzeitig ist das Land buddhistisch, hat eine konfuzianische Tradition und praktiziert Schamanismus. Wer bei uns Lutheraner ist, kann unmöglich gleichzeitig Buddhist sein. In Korea passt das alles wunderbar zusammen, man kann aus allen Kulturen für sein Leben das ziehen, was man gerade braucht.

Steht das für Hedonismus oder Offenheit?

Für ganz große Offenheit. Schamanismus steht in Korea nicht für etwas Archaisches, sondern hilft zum Beispiel, die familiären Probleme des Jetzt zu lösen. Er ist, als eine Option, ein absolut zeitgenössischer Bestandteil der modernen koreanischen Gesellschaft. Eigentlich ist jeder junge Koreaner in irgendeine der Traditionen involviert, geht mir ihr um und nimmt sie als Basis. Daher kommt die Vitalität der koreanischen Kultur.

Verbindet die Teilung unserer beiden Länder, also BRD und DDR, Nord- und Südkorea? Gibt es verbindende Erfahrungen und Traumata?

Natürlich, wobei allerdings der Graben zwischen den beiden Koreas noch viel tiefer ist. Aber hier wie dort entstanden gewisse neurotische Züge. Viele Koreaner kamen nach der Wende nach Deutschland, sie wollten hautnah dran sein an den Ereignissen. Was uns verbindet ist, dass diese Nachkriegsgeschichte eben bis heute tief in die Gesellschaft einwirkt und damit die Kultur entscheidend mitprägt. Einiges im jetzt beginnenden Kulturprogramm wird das thematisieren.

Was könnte denn Berlin von der koreanischen Hauptstadt Seoul lernen?

Was mir imponiert ist, dass man dort kulturelle Werte nicht nur da ausmacht, wo sie gebaut oder geschrieben, also materiell fassbar sind. Sondern auch da, wo sie als Wissen, zum Beispiel im Körper der Tänzer, weitergeführt werden. Einem Performer, der eine alte Tradition beherrscht, wird mit gleichem Respekt begegnet wie einem Museum.

INTERVIEW: A. WOLTERSDORF