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Archiv-Artikel

Drei Rollen für den linken Wähler Kommentar von Barbara Dribbusch

Erschöpft, erleichtert, vielleicht auch entnervt – in diesen Gemütszuständen schleppen sich die BürgerInnen morgen in die Wahlkabinen. Oder auch nicht. Gestern, zwei Tage vor der Wahl, gab es noch zehn Millionen Unentschlossene. Sie wissen nicht, welche Partei sie wählen – oder ob sie sich überhaupt an der Wahl beteiligen wollen.

Vielleicht macht es dem einen oder anderen davon auch Spaß, die politische Klasse noch ein bisschen zappeln zu lassen. Es gibt schon ein klammheimliches Gefühl der Überlegenheit, die Kandidaten vor den Fernsehkameras herumturnen zu sehen und zu wissen, dass sie das nur unseretwegen tun. Doch morgen wartet die Prüfung auf uns, in der Wahlkabine.

Selten zuvor war eine Bundestagswahl ein solch schwieriges Spiel mit Identitäten. Uns stehen morgen eine Menge Rollen zur Auswahl, in die wir in der Wahlkabine schlüpfen können. Allein im linken Spektrum gibt es drei Möglichkeiten. Identität Nummer eins ist der „Protestwähler“. Protestwähler geben einer Partei ihre Stimme aus Unmut über die Zustände. Sie erwarten gar nicht, dass die Partei ihrer Wahl echte Regierungsmacht in die Hände bekommt. Wenn auch nicht alle Linkswähler Protestwähler sind – typische Protestwähler entscheiden sich diesmal für die Linkspartei, denn deren Oppositionsrolle ist sicher.

Rollenangebot Nummer zwei ist der oder die „KulturwählerIn“. Kulturwähler votieren für die Partei, deren Werten sie sich trotz aller Unzufriedenheiten immer noch am nächsten fühlen. Ökologie, unkonventionelle Lebensformen – das reicht immer noch, dass viele Kulturwähler ihr Kreuzchen bei den Grünen machen – auch wenn sie zwischendurch mit der SPD oder der Linkspartei liebäugelten. Und die SPD zieht viele „taktische Wähler“ an, das dritte Rollenangebot. Taktiker votieren für die SPD und damit für eine große Koalition, weil Merkel/Westerwelle eben doch schlimmer wären.

Wer erst einmal in der Wahlkabine steht, muss sich spätestens dann für eine Identität entscheiden, und dieses Spiel mit den Möglichkeiten kann sogar lustvoll sein. Das Wahlergebnis, „der Ernst danach“, wird es höchstwahrscheinlich nicht.