der rechte rand : „Mein Kind ist ein Neonazi“
Ein geringer Wahlerfolg der neonazistischen Parteien könnte antifaschistische Projekte gefährden. Das mag paradox klingen, ist es aber nicht. Denn Geld hat der Staat für Opferberatungen oder Initiativen gegen Rechts immer dann übrig, wenn Parteien wie die NPD Wahlerfolge erringen konnten. Oder wenn die Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten mal wieder angestiegen ist. Wenn Neonazis aber gerade mal nicht unangenehm auffallen und als Dauerthema in den Medien präsent sind, sinkt die Bereitschaft, sich gegen neonazistische Strömungen finanziell zu engagieren.
Eine langfristige Planung ist für die Beratungsteams oder Bildungsprojekte daher kaum möglich. Ein Beispiel: Die Elternberatung bei der „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt“ in Braunschweig, die mit der renommierten Bremer Jugendbildungsstätte Lidice-Haus zusammenarbeitet. Seit Anfang 2004 beraten die Braunschweiger Mütter und Väter, deren Kinder in der Neonazi-Szene unterwegs sind. „Die fortschreitende Verjüngung der rechten Szene erzwang das Angebot“, sagt Koch. In den letzten Jahren bemühten sich geraden die „Freien Kameradschaften“ und die NPD gezielt um 13- und 14-Jährige. Noch ein halbes Jahr fließen Bundes- und EU-Gelder, dann müssen Koch und seine MitarbeiterInnen immer wieder bei Behörden um Geld betteln, um ihre Arbeit aufrecht erhalten zu können. Zu tun haben sie mehr als genug. „Zur Zeit betreuen wir 70 Eltern“, sagt der Leiter Reinhard Koch. Nach seiner Erfahrung wenden sich meistens zuerst die Mütter an die Arbeitsstelle. „Ich rief erst mal an“, erzählt Tanja Borchert*. Gleich hingehen wollte sie nicht. „Mir war das sehr peinlich“, sagt sie. Zudem hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht. Als sie nämlich den Mut gefunden hatte, sich wegen ihres Sohnes an das örtliche Jugendamt zu wenden, wurde sie dort abgewiesen.
Eine ähnliche Erfahrung machte auch Klaus Mayer* bei einer Familienberatung. Sein Sohn gehört schon länger zur „braunen Szene“. Die ersten Anzeichen der Rechtsentwicklung wollten beide Familien zunächst nicht sehen, wie sie berichten. „Die Haare wollte er immer kürzer, dann kaufte er sich eine Bomberjacke“ sagt Borchert. Den damals 14-jährigen Sohn trauten sich die Eltern nicht anzusprechen. „Wir waren einfach hilflos.“ Mayers Sohn hingegen war die neue Gesinnung äußerlich anfangs gar nicht anzusehen. Aber hören konnte es, wer wollte. Der damals 16-Jährige redete plötzlich viel von den „deutschen Werten“ die bewahrt werden müssten. Oder der „heldenhaften Wehrmacht“, der Ehre gebühre. Später fanden die Eltern in seinem Zimmer Schriften von der NPD und „Rudolf Hess – Mord“-Plakate. „Bei uns dröhnte Kraftschlag durch das Haus“, erinnert sich Borchert. Heute weiß sie, dass das eine der ältesten Rechtsrockbands ist.
„Die Eltern erleben diese Entwicklung als Entfremdung“, sagt der Berater Koch. Oft weil sie kaum eine Vorstellung von der rechten Szene hätten. „Stimmt“, räumt Mayer ein. Bei der Arbeitsstelle erklären Mitarbeiter deshalb, welches Material aus dem Jugendzimmer zu welcher Neonazigruppe gehört. „Uns half das“, sagt Borchert. „Wir wussten jetzt wo unser Junge ist“. Die Beratung bietet ebenso an zu überlegen, wie im Alltag miteinander umgegangen werden kann. Ob vielleicht noch eine Gesprächsebene gefunden werden kann.
Betroffen sind im übrigen Angehörige aller Schichten, hat die Braunschweiger Arbeitsstelle festgestellt. Nazinachwuchs lebt sowohl bei gut situierten Arztehepaaren als auch bei arbeitslosen Alleinerziehenden. In einer wissenschaftlichen Auswertung der Beratung kommen die Experten zu der Feststellung, dass eine Hinwendung zur rechten Gruppe aus einem starken Männlichkeitsverständnis und aus dem Widerspruch zwischen angestrebter Arbeitsvorstellung und tatsächlicher Tätigkeit heraus geschieht.
*alle Namen geändert