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Studien in schwarzer Materie

Bühne Das bisherige Werk des Choreografen Jefta van Dinther gilt als ein Weg zur Sprachfindung für nicht Ausgesprochenes. Bei Tanz im August zeigt er ab heute die Uraufführung von „Dark Field Analysis“

Zwei Männer in Wärmebild-Ästhetik bei Jefta van Dinthers „Dark Field Analysis“ Foto: Max Stuermer

von Astrid Kaminski

Der Effekt ist bekannt: Ein Stück geht zu Ende, das Bühnenlicht aus, Blackout, die Figuren erlöschen. Bei Jefta van Dinther ist es anders. Die Darsteller erlöschen mitten im Stück. Nicht weil das Bühnenlicht ausgeht, sondern weil innerlich etwas ausgeht. Blackout der Seele. 15 Tänzer stehen nahe an der Rampe, ihre Körper hängen, wirken ungefüllt, ihre Augen starr, eine Wand aus Leere. „Seid Ihr auch durch diese Nacht gegangen wie ich?“, fragt es später aus dem Off. Wem gehört diese Stimme? Einem Einzelnen aus der Gruppe? Dem Choreografen? Dem unsichtbaren Sprecher? Gehört sie mehreren?

In van Dinthers letzter Produktion, „Protagonist“, die im Januar 2018 im HAU laufen soll, wird das nicht deutlich. Es gibt nicht den einen Erzähler, die eine Erzählung. Deutlich wird aber, dass eine so intensive Szene mit einer so großen Gruppe Tänzer*innen wohl kaum mit einer anderen Compagnie als den Cullbergbaletten möglich wäre, einem Ensemble aus Künstler*innen-Persönlichkeiten, die psychologisch durchfühlt, dramatisch präsent, tänzerisch und körpertechnisch versiert und sowohl kognitiv als kontemplativ geschult sind.

Bei so einer Gruppe ist es möglich, mit einem Thema umzugehen, an das sich bei allem Autobiografischen, bei allem Selbstbezüglichem, was zurzeit die Bühne oft zu einem 3-D-Face­book macht, kaum jemand heranwagt: psychologisches Gepäck, Schmerz, Depression. Etwa 5,3 Millionen Menschen erkranken allein in Deutschland jährlich an Depressionen. Wenn sie auf der Bühne vorkommt, dann meist in der ausweglosen Fassung der englischen Dramatikerin Sarah Kane (1971–1999), auf die sich eigentlich nur mit Schockstarre reagieren lässt.

In „Protagonist“ steht weniger das Aussichtslose im Vordergrund als der Versuch, sich in den Schranken, die sich um das Selbst legen können, sich in der bleierne Schwere, die es erfassen kann, in der Dissoziation, zu halten, auszuhalten: Kontakte, die keine Beziehung ermöglichen, Bewegungen, die keine Energie freisetzen, Handlungsketten, die keine Bezüge herstellen. Und dann auch immer wieder so etwas wie kleine Bilderfluchten.

Im Gespräch über „Protagonist“ erwähnt Jefta van Dinther den Maler Hieronymus Bosch. Bilder von Monstern, in deren Erscheinung die eigenen Monster befreit werden können, ohne sie zur Karikatur gerinnen zu lassen.

„Protagonist“ markiert eine Wende im Werk Jefta van Dinthers, die, wie sich in einem Kreuzberger Gespräch ergibt, bei näherem Betrachten angebahnt war. Der Choreograf, der in Berlin lebt und bisher in Schweden, wo er aufgewachsen ist, produziert hat, galt als konzeptueller Künstler, der von der Idee ausgeht. Nicht jedoch im Sinn eines bewegungsverweigernden Konzepts, im Gegenteil. Als einer der Ersten stellte er sich dem Bezugssystem Material im Sinn einer Theoriebildung rund um den Begriff des Anthropozäns. Wie sieht ein Verhältnis zum Material der gemachten Umwelt aus, die nicht das Gegenteil von Natur ist?

In dem synästhetischen Werk „Grind“ (2011), in dem van Dinther zum ersten Mal mit seinem formalästhetischen Dreamteam Minna Tiikkainen für Licht und David Kiers für Sound und Musik zusammenarbeitete, ging es um den Dialog mit der Bühnenausstattung. Belebte und unbelebte Körper verschmolzen in eine Klang-Farbe-Bewegungseinheit. In Erinnerung bleibt der Tanz mit dem Lichtkabel und der empfindlichen Glühbirne am Ende. In „Plateau Effect“ (2013), das ebenfalls mit den Cullbergbaletten entstand, kommt es aus der dramatischen Inspektion des Bühnenvorhangs heraus zur Interaktion mit einer großen Stofffläche, die im Finale unter höchstem Einsatz des Tänzer*innenkollektivs als Segel gesetzt wird.

Anders als bei Kolleg*innen wie Mette Ingvartsen (mit der van Dinther das Trampolin-Stück „It’s in the air“ (2009) erarbeitet hat) werden die Tänzer*innen bei van Dinther nicht zu Techniker*innen des Materials: Es geht ihm immer auch darum, was das Gegenüber im Körper auslöst – in Form von sowohl physischen als auch psychischen Reaktionen. Auch Psyche wird zum Material: „Das nächste große Ding war es, persönlich zu werden.“

Die Tänzer*innen werden bei ihm nicht zu Techniker*innen des Materials

Gespräch übers Blut

Aus diesem Ansatz heraus kam der Moment, in dem Sprache, die bei van Dinther bisher als (stumme) Stimme oder verbalisierte Stimmung zum Einsatz kam, als Bedeutungsträger eine Rolle zu spielen begann.

Das neue Stück „Dark Field Analysis“ geht daher, anders als der Trailer auf der Website von Tanz im August vermuten ließe (der zwei Männer in Wärmebild-Ästhetik zeigt, die ein wenig wie die ausgegossenen Aquarellkörper von Josef Beuys wirken), von der Sprache aus.

Der Titel bezieht sich auf eine alternative medizinische Methode, die Blutkörper auf ihre qualitativen Interaktionen hin untersucht. Das Erstaunen darüber, wie viel Kommunikation im eigenen Innern stattfindet, wird zunächst zu einem Gespräch über Blut, das bald zum Gespräch über die unbeantworteten Fragen des täglichen Lebens wird. Und auch über das, was innere Bewegung auslöst – wie eine Begegnung zwischen Menschen, die sich plötzlich mit Bedeutung auflädt. Oder als Synthese: Wovon wird das Herz bewegt – und was kann es, wortwörtlich, bewegen? Tanz steht hier nicht für das, was sich nicht in Worte fassen lässt, sondern für eine Transposition des Körpers, für seine Präsenz gegen nicht gestellte Fragen.

24. 8., 21 Uhr; 25. 8., 19 Uhr; 26. + 27. 8., 21 Uhr im HAU 2

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