„Ein Pyrrhus-Sieg für Westerwelle“

Das Problem mit dem Ergebnis dieser Wahl ist: Sie sendet kein eindeutiges Signal. Offenbar wollen die Deutschen weder in ein dereguliertes neuliberales Wunderland, noch wollen sie zurück in den sicheren Wohlfahrtsstaat der 70er-Jahre

taz: Die CDU/CSU schneidet erheblich schlechter ab als in den letzten Umfragen. Wie erklären Sie das?

Franz Walter: Es gibt gerade in bestimmten Teilen des deutschen Bürgertums den Typus des taktischen, beweglichen, intelligenten Wählers, der sich in den letzten Tagen dafür entscheidet, die FDP zu wählen, weil er ihr eine spezifische Rolle zuweisen will. Vor drei oder vier Wochen hat die FDP noch keine besonderen Orientierungen auf sich gezogen, wie wir aus Umfragen wissen. Aber jetzt will ein Teil des Bürgertums, dass die FDP in den bevorstehenden Verhandlungen eine wichtigere Rolle spielt – und dass tatsächlich bei den Reformen mit der Deregulierung und Entstrukturierung Ernst gemacht wird. Das schien den Wählern bei der CDU zu langsam zu gehen.

Also handelt es sich auch um eine Entscheidung gegen eine große Koalition?

So ist es. Das ist ein Signal gegen die große Koalition. Diese Wähler wollten die FDP stark machen für Schwarz-Gelb. Wenn es nun nicht dazu reicht, ist es ein Pyrrhus-Sieg für Guido Westerwelle.

Eine große Koalition wirkt heute als wahrscheinlichste Lösung. Wird Frau Merkel sie als Kanzlerin anführen?

Es ist ja nicht so, dass Frau Merkel einen Regierungsauftrag hat, wie sie sagt. Sondern, wer eine Mehrheit zusammenbringt, bekommt einen Regierungsauftrag. Und insofern werden in den nächsten Tagen auf jeden Fall zwei Politiker Bündnispartner suchen. Der Kanzler hat da einen großen Vorteil, da er wirklich ein großer Macchiavellist ist.

Aber eine große Koalition würde er nicht anführen. Wer käme dafür in Betracht?

Für diese Aufgrabe braucht man einen Moderator, der nicht in die Grabenkämpfe der Berliner Politik verwickelt ist. 1966 hat man deshalb Kiesinger geholt. Wenn die große Koalition gelingen soll, muss man jemand von außen holen, der als eine Art wandelnder Vermittlungsausschuss funktionieren würde.

Wem ist das zuzutrauen?

In den nächsten Tagen wird der Name Wulff geraunt. Aber ich will natürlich nicht den Gremien der CDU vorgreifen.

Noch einmal zur FDP. Sind die WählerInnen reformbereiter als angenommen?

Nein. Es gibt einen Teil, etwa 10 Prozent, der will radikale Reformen – und zwar schnell. Aber mehr als 50 Prozent wollen das nicht. Das ist doch das Problem dieser Bundestagswahl: Sie sendet wieder kein eindeutiges Signal. Weder wollen die Deutschen in ein dereguliertes neuliberales Wunderland aufbrechen, noch wollen sie zurück in den Wohlfahrtsstaat der Siebzigerjahre.

Hat deshalb auch die Linkspartei längst nicht so gut abgeschnitten, wie es viele prognostiziert hatten?

Ja, sicher. Schauen wir doch mal auf die Ausgangslage: Da haben wir eine Regierung, die zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte die Macht weggeworfen hat. Also müsste man davon ausgehen, dass sie dafür abgestraft wird und die Opposition mit Aplomb gewinnt. Eine bessere Situation für einen neuen Aufbruch kann es doch gar nicht geben. Aber das ist nicht der Fall. Sollte eine schwarz-gelbe Regierung es schaffen, bleibt sie deutlich unter 50 Prozent.

Könnte eine Ampelkoalition noch eine Chance haben?

Na ja, letzte Woche war das nicht mehr als ein interessantes Spielchen. Aber heute ist es eine realistische Option. Das Problem des guten Westerwelle ist: Er hat die vielen Stimmen bekommen, weil er gesagt hat, er macht es nicht. Wenn er es nicht macht, kann es aber sein, dass ihm der Sieg nichts nützt.

Aber wie sagte Franz Josef Strauß schon zu den Wahlversprechen der Liberalen: Das Zuverlässige an der FDP ist ihre Unzuverlässigkeit.

INTERVIEW: DANIEL HAUFLER