KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

Marcus Woeller

Susan Hiller ist von der Berlin Biennale 5 noch in guter Erinnerung. Dort präsentierte die britische Künstlerin die Soundinstallation „The Last Silent Movie“. Über Richtlautsprecher hörte man Menschen in fremden Zungen parlieren, auf Screens konnte man die Übersetzungen lesen. Dokumente (nahezu) ausgestorbener Sprachen hatte Hiller ausgegraben. Sie erinnerte daran, wie mit der Sprache auch die Kultur krepiert und machte deutlich, wie geprägt wir von der simultanen Wahrnehmung von Bild und Wort sind. Das Visuelle blendete sie in ihrer Arbeit völlig aus und versuchte, die synästhetische Fähigkeit anzuregen, über den Sound, Bilder zu imaginieren. Jetzt nimmt Hiller an einer Gruppenausstellung bei den Gebrüdern Lehmann teil und zeigt die mittlerweile dreißig Jahre alte Arbeit „Addenda, Dedicated to the Unknown Artists“. Dafür sammelte sie alte Postkarten – Aufnahmen von an die Küste schlagender Brandung – und ordnete sie zu einem geheimnisvollen Bildvergleich. Im Kontrast dazu steht die neue Installation „Emergency Case: Homage to Joseph Beuys“, die aus Erste-Hilfe-Kästen besteht, deren Medizinfläschchen mit geweihtem Wasser gefüllt sind. In der Archivierung mannigfaltigster Kulturgüter, seien es nun Bilder oder Töne, alltägliche Objekte oder eher transzendente Bedeutungsträger, betreibt sie eine Art assoziativer Archäologie verschütteter Zusammenhänge. Rowena Hughes arbeitet kombinatorisch abstrakter und setzt physikalische Diagramme über Fotografien oder überzeichnet Buchseiten mit Kristallstrukturen. Auch Elizabeth McAlpines Skulpturen und Wandobjekte sind weniger konkret. Sie fertigt filigrane Installationen und steckt schemenhafte Fotogramme in Rahmen mit Kurven und Knicken. Assoziationen stellen sich bei beiden nicht so leicht ein, ihre Werke buhlen aber subtil um Aufmerksamkeit.  Die Schau lenkt den Blick auf Einzelpositionen der Londoner Kunst. Doch mit dem Titel und dem dahinter stehenden Anspruch „In the Air Tonight“ will die Kuratorin Christine Nippe etwas zu hoch hinaus. Mit einer wortreichen, aber bedeutungsarmen Erläuterung zu ihrer „kuratorischen Methode“ erschwert sie die Ausstellung eher, als dass sie ihr Flügel verleiht. Im kleinen Katalog wird eine Fülle von „Querverbindungen und ästhetischen Überlappungen“ ausgemacht, natürlich liegt ein „intensiver Rechercheprozess“ zugrunde und selbstredend formt sich der „Diskurs in einem multipolaren globalen Kunstsystem“. Doch ob in London wirklich etwas mehr Kunst als gewöhnlich in der Luft liegt und was das kollektiv verbindende Element der Künstler sein könnte, bleibt die Ausstellung schuldig. (Bis 12. 1., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Galerie Gebr. Lehmann, Lindenstr. 35)