: In Kreuzberg ist die alternative Welt noch in Ordnung
Christian Ströbele verteidigt in Berlin das einzige grüne Direktmandat. Im Szeneviertel ist er Kult. Sogar im Ostberliner Plattenbau hat er Fans
BERLIN taz ■ Er kommt zu später Stunde in den Hangar 2 des Flughafens Tempelhof, wo die Grünen ihre Wahlparty feiern. Joschka Fischer, Renate Künast und Jürgen Trittin haben längst das Weite gesucht. Keiner der grünen Prominenz ist an diesem Abend so begeistert gefeiert worden wie Christian Ströbele.
Als Erstem und Einzigem seiner Partei ist es dem 66-Jährigen zum zweiten Mal gelungen, in seinem Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost das Direktmandat zu holen. 43,7 Prozent – ein Ergebnis, von dem selbst die großen Volksparteien nur träumen können. Selbstbewusst, wie er ist, bezeichnet sich Ströbele fortan nun auch als „Vertreter einer Volkspartei“.
Was ist sein Erfolgsrezept? Zentral ist: Ströbele steht für die alternative Lebenswelt, um nicht zu sagen für die alte Kreuzberger Szenemischung aus Mauerzeiten. Für die älteren seiner Stammwähler verkörpert er so etwas wie das gute linke Gewissen. Und für die Jungen ist der Mann mit den weißen Haaren und dem roten Schal einfach Kult: Keiner bringt den Kreuzberger Kiez so gut rüber wie er.
„Nicht ich, wir haben das Direktmandat ein zweites Mal gewonnen“, hebt Ströbele an, als der Applaus endlich verebbt. Wir, das ist sein Wahlkampfteam: Lehrer, Angestellte, Arbeitslose, Juristen, gebürtige Deutsche und Migranten, Schwule und Heteros, Frauen und Männer, Alte und Junge, die ihn nun auf der Bühne umringen. Ein Völkchen, so vielfältig und bunt wie Ströbeles Wählerschaft. So, wie sie der Zeichner Seyfried – bekannt geworden in den 80er Jahren durch seine Comics über die Westberliner Alternativszene – auf den Ströbele-Wahlplakaten zu Papier gebracht hat.
Die Gradlinigkeit, mit der Ströbele für linke Positionen einsteht – auch gegen den Widerstand in den eigenen Reihen –, macht ihn aber auch für andere Wähler attraktiv. Kreise, in denen sonst die Linkspartei fischen würde. In den Plattenbaugebieten im Ostteil der Stadt, wo die Grünen sonst nur 2 bis 3 Prozent einfahren würden, holte er 30,6 Prozent. Nicht zuletzt bei älteren Leuten, „überwiegend Frauen“, verrät Ströbele, komme er gut an. Meistens gehe es denen gar nicht um Einzelfragen, sondern um den Gesamteindruck von Ströbele als Mensch, der für eine verlässliche, glaubwürdige Politik und eigenständige Positionen steht. „Ich bekomme oft zu hören: „So einer wie Sie gehört ins Parlament“, erzählt er.
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