: Ein wahres Wort: „Scheiße“
Dass die CDU Stimmen verliert, mag ja noch angehen. Aber die Stoiber-CSU? Das ist doch … siehe oben
AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER
Am Sonntag, zwanzig Minuten vor Mitternacht, trat Edmund Stoiber in München vor seine Partei und räumte in knappen Sätzen ein, man habe den göttlichen Segen verloren: „Für uns ist festzuhalten, die CSU hat auch verloren.“ Da war schon verblasst, dass er ein paar Minuten zuvor noch vom Stabilitätsanker CSU gesprochen hatte. Die Union hat am Sonntag verloren, und auch ihr Stabilitätsanker CSU löst sich vom Grund.
Eigentlich war in München alles wie gehabt, strahlend blauer Teppich, strahlend blaues Licht. Doch das „Scheiße“, das am Sonntag um Punkt 18 Uhr durch die Wahlparty rollte, war neu. Die 37 Prozent der Union ließen auch die bayerischen Schwarzen erstarren, 150 Sektflaschen blieben im Keller und die meisten Parteivorderen erst mal zu Hause. Nur Ex-Minister Hans Zehetmair war da, er erklärte ganz unverblümt: „Es gibt manche Kollegen, die etwas zögerlich sind, bis sie was Handfestes sagen können. Das wird schwierig an diesem Abend.“ Immerhin er konnte schon mal losledern: „Man hätte nicht den Fehler machen dürfen, den Überraschungseffekt des Professors zu zerreden.“
Der Abend wurde später, die ersten Zahlen aus Bayern kamen, und die „Scheiße“ wurde „unfassbar“. Weniger Mandate als die FDP und nur 49,8 Prozent schwarze Wähler, amtlich wurden es gar nur 49,3 Prozent. Eine Majestätsbeleidigung, schienen doch 50 plus x bereits gottgegeben. Für Hans-Jochen Vogel ein „Verstoß gegen physikalisch-bayerische Grundsätze“. Der inzwischen 80 Jahre alte Allround-Chef der SPD analysiert: „Wir sehen, die CSU ist verletzbar.“
In der Tat, die CSU hat ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1957. Bis auf die Wechselwahl 1998 hatten sie jedes Mal deutlich über 50 Prozent. Da wird das Erklären schwierig für Staatskanzleichef Erwin Huber: „Man darf das Ergebnis nicht an der letzten Wahl messen, damals gab es den Stoiber-Bonus, das waren fünf Extra-Prozent.“ Dann subtrahiert Huber noch fünf Prozent für die FDP, „und schon sind wir bei zehn Prozent Verlust“. Alles nur Mathematik und überhaupt liege man ja immer noch 15 Prozent über den CDU-Ergebnissen.
Aber der Sonntagabend wurde lang und plötzlich nahmen die Granden in München Wörter in den Mund, die es so nie gab in den letzten Jahrzehnten: „Wir haben eben Mitbewerber“ oder: „Wenn Stoiber jetzt sagt, er bleibt hier, dann schwächt er die CSU.“
Und – wie Zehetmair prophezeit hat: Richtig genörgelt wird am nächsten Tag. Etwa vor der CSU-Vorstandssitzung. „Ich wünsche mir sehr, dass in meiner Partei wieder mehr diskutiert wird“, sagte die stellvertretende CSU-Vorsitzende Barbara Stamm gestern. In den letzten beiden Jahren habe sie Stoibers Kurs nur intern kritisiert, das sei nun vorbei.
Vorbei ist auch die Freundschaft auf Bundesebene: „Die Partei war zu wenig für die Arbeitnehmer da“, kritisiert Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA.
Um Kritiker in Zaum zu halten, stellt sich Angela Merkel heute – vorgezogen – als Fraktionschefin zur Wahl. Dabei wird sie wohl auch das Placet der CSU bekommen. Hieß es doch noch am Sonntag: „CDU und CSU lassen sich nicht auseinander dividieren, so wahr ich Erwin Huber heiße. Sie werden keine Führenden in der CSU finden, die eine Personaldiskussion veranstalten.“ Huber, immerhin Chef der bayerischen Staatskanzlei, war es auch, der zum Ende einer langen Wahlnacht gegrinst hat, als ihm Peter Ramsauer, Parlamentarischer Geschäftsführer, für die Unterstützung gedankt hat: „Merkel war da, die ziagt’s runter – du warst da, dann ging’s wieder rauf.“