JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE : Wir sind ja alle keine Ökonomen
„Du wählst CDU, darum mach ich Schluss / lass mich bitte bloß in Ruh, denn du redest Stuss“ (Rocko Schamoni)
Vielleicht bin ich ja etwas simpel gestrickt, aber ich hab mich schon außerordentlich gefreut, da am Sonntagabend über dieses beeindruckende Naturschauspiel, die Hängenden Flappen vom Konrad-Adenauer-Haus. Nein, so aufgeführt wie der Schröder haben wir uns grad nicht, obwohl der Holger immer noch einen Gin Fizz aus der Küche getragen hat, aber gefreut haben wir uns. Freilich haben wir uns auch ein bisschen gesorgt, wie es jetzt um Himmels willen weitergehen soll etc.pp., jaja, aber zuvörderst haben wir uns: gefreut.
Später am Abend hätte ich aber dann doch fast noch brechen müssen. Gut, vielleicht hätte ich nicht so viel Gin Fizz trinken sollen (aber wenn wir uns doch so gefreut haben!), vor allem aber lag das am „Nachtstudio“. In dieser Talkshow reden gemeinhin Philosophen über angenehm Verstiegenes. Diesmal allerdings diskutierte eine Hand voll JungschriftstellerInnen den Wahlausgang. Und da hätte ich gehofft, in so einer Intellektuellenrunde könnte mal ganz zart die meines Erachtens im Verhältnis zu ihrer Tragweite doch weithin etwas stiefmütterlich behandelte Tatsache angesprochen werden, dass es nie und nimmermehr in diesem Leben zwei, drei oder gar fünf Millionen neue Arbeitsplätze geben wird in Deutschland, weil das vom Kapitalismus her ja gar nicht gehen kann. Der Dramatiker Moritz Rinke nahm dies schließlich auf sich: Man werde sich wohl an ein paar Millionen Arbeitslose gewöhnen müssen, und vielleicht sei es insofern an der Zeit, dass die Gesellschaft über einen veränderten Umgang mit diesen nachdenke, hob er an – nur um auf der Stelle von dem extrem unangenehmen Mann Ulf Poschardt, der die ganze Runde mit seinem arroganten Herrenmenschendröhnen regelrecht in Schach hielt, niedergedröhnt zu werden. „Zynismus“ und „unmöglich“ sei das, in „so einer Situation“ mit „so etwas“ daherzukommen, Ende der Diskussion.
Am liebsten hätte ich das Gin-Fizz-Glas in den Fernseher geschmissen, aber ich war schon zu schwach, außerdem war es nicht mein Fernseher und schon gar nicht mein Gin-Fizz-Glas. Ich bewunderte mich ob meiner Selbstbeherrschung, zumal nun einmal mehr die Schriftstellerin Thea Dorn Poschardt zur Seite sprang. Die bekennende CDU-Wählerin, die sich als solche erklärtermaßen total modern und „undogmatisch“ vorkommt, trötete, sie sei ja keine Ökonomin, aber es müsse doch was anzuschieben sein im Dienstleistungssektor! Exakt, ich bin ja auch kein Ökonom, aber vielleicht, wenn man zum Beispiel alle Kaugummi- und Fahrkartenautomaten durch Bauchladenhändler ersetzen und das E-Mailen verbieten und wieder mehr Postboten und berittene Kuriere einstellen würde?
Was sind das bloß für Leute! Mein Trost ist da immer der Maya-Kalender. Der Maya-Kalender sagt ja für 2012 den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems voraus. Fragen Sie mich nicht, warum das wahr ist, es ist jedenfalls wahr; es wurde mir letzthin erzählt, und wer bin ich, die Glaubwürdigkeit von jemandem anzuzweifeln, an den ich mich gar nicht mehr erinnern kann, wer es war. Keine Ahnung, wahrscheinlich hat ein Archäologe einen alten, vergilbten Maya-Kalender gefunden, auf dem 2012 rot eingeringelt war: „Nicht vergessen: Zusammenbruch des kapitalistischen Systems!“
Man muss sich das vorstellen! Dabei wussten die damals noch gar nicht, was ein kapitalistisches System überhaupt sein soll bzw. wird! Die hatten echt was drauf mit ihren Sonnenscheiben, die Mayas. Oder war’s der Inka-Kalender?
Nun, ich habe die Information notiert in einem Büchlein, das schon Hemingway und Chatwin benutzt haben, also wird man ihr ja wohl etwas Gewicht beimessen dürfen. Das nennt man konstruierte Realität, und wenn der Borderline-Fan Poschardt an seinen Neoliberalismus- Vollbeschäftigungs-Mickymaus-Schmarrn glauben darf, lass ich mir meine Mayas nicht nehmen. Bis dahin wünsche ich mir eine Galapagos- oder Fidschi-Koalition mit einer Bundeskanzlerin Anne Will. Oder wir lassen mal Leute wie Moritz Rinke ausreden.
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