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Brave Gewerkschaften

betr.: „Pro & Contra Tarifeinheitsgesetz“, taz vom 12. 7. 17

Ulrike Herrmann beschreibt sehr nett und richtig, wie es sein könnte zwischen Gewerkschaften. Pascal Beucker beschreibt die Realität, die sich nach dem Urteil einstellen wird. Es ist ein Jammer, dass ausgerechnet eine sozialdemokratische Ministerin ein für Arbeitnehmer dermaßen schlechtes Gesetz durchbringt. Wenn man sich die Tarifverhandlungen der letzten Jahrzehnte anschaut, sind die sogenannten Mehrheitsgewerkschaften regelmäßig eingeknickt und haben ihre ursprünglichen Forderungen selten durchgebracht. Anders die Spartengewerkschaften. Genau diese Tatsache war der Grund für das Gesetz. Stromlinienförmige „brave“ Gewerkschaften: ja. Welche, die vor Arbeitskämpfen nicht zurückschrecken: nein. Das ist die politische Botschaft. WOLFGANG WEDEL, Nürnberg

Neoliberalismus im Tarifgeschehen

betr.: „Pro & Contra Tarifeinheitsgesetz“, taz vom 12. 7. 17

In den Siebzigern lernte man in Schulungen, es gebe gelbe und rote Gewerkschaften. Gelbe gab es in den USA. Eine Art Business: Ihr bezahlt uns Beiträge und wir holen viel Geld für euch raus. Rote Gewerkschaften hatten einen politischen Gestaltungsanspruch für die Gesellschaft als Ganze. Mit den Spartengewerk­schaften zieht der unpolitische Neoliberalismus in das Tarifgeschehen. Nun heißt es nicht mehr, was ist möglich und sinnvoll, sondern: Jeder holt, was er kann. Egoismus der Starken statt Solidarität.

Mit nur einer Gewerkschaft pro Betrieb und entsprechend wenig Streiktagen hatte Deutschland einen großen Standortvorteil. Das Zerbröseln der Flächentarifverträge führt dazu, dass Betriebe nun über niedriges Lohnniveau miteinander konkurrieren, und auf der anderen Seite versuchen Spartengewerkschaften für ihre eigenen Mitglieder mehr herauszuholen auf Kosten der Nichtmitglieder.

Der Grund für das Ende des erfolgreichen BRD-Tarifmodells, welches allen Beteiligten (Arbeiter, Kapital, Kunden) beste Ergebnisse lieferte, liege in GG Artikel 9, in dem das freie Bilden von Vereinigungen garantiert wird. In diesem Artikel werden auch Arbeitskämpfe geschützt, also eine bestimmte Art der Gewaltausübung. Neben freien Vereinigungen haben auch Arbeitskämpfe Grundrechtsrang. Es erkennt damit die bedeutende gesellschaftliche Funktion der Arbeitskämpfe an. Unerwartet entsteht durch die Spartengewerkschaften ein Dilemma. Die freie Bildung von Arbeitskampfvereinigungen widerspricht faktisch der gesellschaftlichen Funktion (Solidarität, Gestaltung) der Arbeitskämpfe. In meinen Augen geht es darum, den Buchstaben zu wahren oder den Sinn des Buchstabens zu retten, und darum, eine weitere Spiraldrehung in Richtung Neoliberalismus zu verhindern.

RENATUS LÜTTICKEN, Krefeld

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