Wenn’s nicht gut läuft, hilft Billy Holiday

POP Dan Bodan macht so eigenwillige wie schöne Musik. Der Sänger ist einer der ungezählten Neuberliner. Aber vielleicht nicht mehr lange: Es zieht ihn nach London, wo Pop zu Hause ist

Bodan stellt in seinen Clips durch Orte wie den Kotti Intimität her. Oft drehen Künstlerfreunde die Videos

VON ENRICO IPPOLITO

Er ist spät dran. Viel zu spät. Er rast durch die Straße – schnell und wendig. „Entschuldigung“, sagt er mit einem Lächeln. Dan Bodan saß gestern bis tief in die Nacht an seiner neuen Single.

Sein Büro in Kreuzberg ist nicht wirklich seins. Der Musiker sitzt im Büro eines Freundes. Schreibtisch, Macbook, Mikrofon. Mehr braucht er nicht. Er redet, denkt und geht schnell. Das Büro ist aufgeräumt. Auf einem Tisch neben dem Fenster liegen drei große Batterien, die sein Kollege aus Asien importieren lässt, um sie dann in Europa zu verkaufen. Auf dem Boden vor dem Sofa liegen die Spuren der letzten Nacht: Tassen mit noch ein wenig Kaffeeresten.

Bodan wuchs im kanadischen Edmonton auf. Wann er mit der Computermusik angefangen habe? „Wann kam Amélie raus?“, fragt er zurück. Er muss 14 Jahre alt gewesen sein, als sein Vater ein Loop-Programm für den Computer kaufte. Mit 17 zieht er nach Montreal und schließt sich der DIY-Musikszene an. Er arbeitet als Door Boy im Zoobizarre. „You have to be ‚in the know‘ to know about it“, steht im Reiseführer Lonely Planet über den Club zu lesen. Bevor Bodan 2007 nach Berlin zieht, hat er in Prag für drei Monate Konzeptkunst studiert. „Als ich nach Berlin kam, wollte ich nicht mehr Musik, sondern Kunst machen“, sagt er. Als er auf dem Club Transmediale auftritt, sehen ihn Leute vom Buchladen Pro qm. Bodan macht dort eine Performance und tingelt von da an von Galerie zu Galerie, von Projektraum zu Artspace: „Zwei Jahre lang habe ich dieses Crossover aus Musik und Kunst gemacht.“ Nebenbei produziert er zwei Alben, mehr oder weniger allein.

Wenn Bodan redet, schaut er einem in die Augen. Er gestikuliert viel, spricht schnell. Dazwischen checkt er kurz seine Mails am Computer und beendet den Satz, während er auf den Bildschirm starrt. Bodan rutscht auf seinem Stuhl hin und her, steht keine Sekunde still. Vor allem live ist das spürbar.

Bei einem Konzert in der Berghain Kantine trägt er eine übergroße weiße Jacke und das obligatorische Baseballcap. Er hüpft zu seiner Musik hin und her. Seine Stimme ist glasklar. „Ich hatte keine gute Zeit in der Kantine während des Auftritts“, erzählt er später aber. Er war erkältet, und es gab technische Probleme. Bemerkt hat man es nicht. Zur großen Überraschung interpretierte Dan Bodan als letzten Song „Don’t Explain“ von Billy Holidays. „Das ist sehr manipulativ von mir“, sagt er. „Ich spiele den Song immer, wenn mein Set nicht gut läuft.“

Dass seine Musik schwer einzuordnen ist, ist Teil von Bodans künstlerischer Strategie. Wenn die Musikpresse ihn mit Antony Hegarty und James Blake vergleicht, hört er das nicht gern. „Sie stehen für Zerbrechlichkeit. Da sehe ich mich nicht“, sagt er. In der Tat ist es zu einfach, ihn in die Kategorie der Weltschmerz-Liebesbarden zu stecken. Dafür sind seine Text zu ausgefeilt und verspielt. Seine Musik ist experimentell und zugleich klar an Pop orientiert. Seine Doppelsingle „Aaron/DP“ erschien auf DFA Records. „DP“ ist Bodans Kommentar zu seinen Jahren in der Kunstszene. Am Anfang lässt er den französischen Philosophen Gilles Deleuze zu Wort kommen. Bodan erinnert sich, als er einen Text von ihm las und nicht über die erste Seite hinaus kam. „Ich war in Tränen aufgelöst“, sagt er. In „DP“ steckt Bodans Systemkritik: Philosophie gilt als das Höchste in der Pyramide, nur Menschen mit einer höheren Erziehung und viel Geld zugängig: „That sucks.“

„Aaron“ hingegen handelt von falschen Entscheidungen. „Die Leute glauben, es sei ein Liebeslied, ist es aber nicht“, sagt Dan Bodan. Manche schockiert darin die Zeile „You smell like cum and tourist dick“ („Du riechst nach Sperma und Touristenschwanz“). Dabei geht es ihm gar nicht um banale Provokation. Bodan ist ein begnadeter Songschreiber. Seine Texte sind persönlich, sie sind ehrlich. „Vielleicht bin ich nicht kreativ genug und muss aus meinen persönlichen Erfahrungen schöpfen“, sagt er. Die Frage nach den Quellen seiner Inspiration hört er nicht gern. Stattdessen redet er vom Kino und Musikvideos. Von Pasolinis „120 Tage von Sodom“ und Marilyn Mansons Videoclips. „Was ist schockierender?“, fragt er. Seine eigenen Videos kommen nicht wie gewöhnliche Clips daher. „DP“ spielt in der Times Bar, einer inzwischen geschlossenen Künstlerbar nahe dem Hermannplatz, die Bodan sehr vertraut war. „Aaron“ hingegen rund ums Kottbusser Tor. Bodan stellt durch Orte in seinen Clips Intimität her, oft drehen befreundete Künstler die Videos. Das erklärt auch die etwas andere Bildsprache.

Dan Bodan hat seinen Platz in Berlin gefunden und überlegt doch, nach London zu ziehen. Ein Grund dafür ist, weil er glaubt, dass es in Berlin keine Livekultur gibt. Niemand wolle mehr für Konzerte zahlen, aber 15 Euro fürs Berghain seien für alle okay, sagt Bodan. Der 27-Jährige ist keineswegs verbittert, er will mit seiner Musik nur ein breiteres Publikum erreichen. „In Berlin gibt es außerdem keinen Markt für englische Musik. Und London ist die englischsprachige Stadt in Europa. So einfach ist das“, sagt er.

Dan Bodan hat klare Vorstellungen, wo er mit seiner Musik hin will. Er möchte Alben machen wie in den Neunzigern, „wo alles wie ein Mixtape war“. Es fallen Namen wie Björk, Timbaland und Beck. Lieber was Neues wagen, als immer auf der sicheren Seite zu sein. Dan Bodan beginnt einen neuen Arbeitstag in seinem Kreuzberger Büro. Er hat eine Nachtschicht vor sich – mit viel Kaffee und wenig Schlaf.

■ Dan Bodans aktuelle Single ist beim New Yorker Label DFA Records unter dfarecords.com erhältlich. Die in einer Auflage von 250 erschienene LP „Nudity & Atrocity“ mit einem Cover von Simon Denny und die CD „Cashmere Sweater“ gibt es bei Pro qm in der Almstadtstraße 48–50 und bei Motto in der Skalitzer Straße 68