: Die stumpfe Ecke
IMMOBILIEN Hackepeterschrippen und Filterkaffee, Argwohn, Intrigen und große Geschichte: Das Berliner Karl-Liebknecht-Haus ist die Zentrale der Linken. Wer die Partei führen will, muss sich hier beweisen
■ Das Haus: 1910 als Bürogebäude errichtet, kaufte die KPD das Haus 1926 und benannte es nach dem ermordeten Arbeiterführer Karl Liebknecht. 1933 besetzte die SA das Gebäude und nannte es in Horst-Wessel-Haus um. Vom Krieg teilweise zerstört, später saniert, beherbergte das Gebäude später kurzzeitig die SED. Nach der Wende kämpfte die PDS um ihren Besitzanspruch – erfolgreich. Seit 2007 residiert hier Die Linke.
■ Die Lage: Die Zentrale liegt in Berlin-Mitte am Rosa-Luxemburg-Platz in direkter Nachbarschaft zur Volksbühne und dem internationalen Amüsierclub „Soho House“ – knapp an der Grenze zu Prenzlauer Berg.
■ Die Chefs: Nach langen Flügelkämpfen einigte sich die Partei im Juni auf das Quotenduo Katja Kipping (34) und Bernd Riexinger (57). Sie residieren im 4. Stock des Karl-Liebknecht-Hauses.
VON ANJA MAIER
Bernd Riexinger hatte die Morgenmaschine nach Berlin genommen. Die Stadt lag noch im Dunst, nicht wärmer als 18 Grad sollte es an diesem 4. Juni werden. Riexinger hatte am zurückliegenden Wochenende den Job gewechselt. Beim Parteitag der Linken in Göttingen war er überraschend zum Parteivorsitzenden gewählt worden. Statt also wie bisher in sein Stuttgarter Ver.di-Büro zu fahren, war Riexinger an diesem Montagmorgen nach Berlin-Mitte aufgebrochen.
Kleine Alexanderstraße 28, Karl-Liebknecht-Haus. Am Wachschutz vorbei stieg er hinauf in die vierte Etage, geradeaus ins Sekretariat, erste Tür rechts: Riexingers neues Büro. Ob Karrieresprung oder Schleudersitz, das würde sich ab jetzt zeigen.
Klaus Ernst, Riexingers Vorgänger im Amt, kam herein und erklärt ihm das Nötigste. „Ich bekam eine Stunde Unterweisung, das war praktisch meine Einarbeitung“, erinnert er sich. Als baden-württembergischer Landesvorsitzender war er schon ein paar Mal im „KL-Haus“, wie man die Parteizentrale intern nennt; aber über die Sitzungsräume im Erdgeschoss war er nie hinausgekommen.
Im Haus herrschte morgendlicher Betrieb, die Mitarbeiter wussten: Heute kommt der Neue, die Katja bringt er auch mit. Dass Riexinger – gemeinsam mit der Ostlerin Katja Kipping – plötzlich Vorsitzender war, lag daran, dass der Westflügel der Partei in letzter Minute einen der Ihren gegen den ostdeutschen Realo Dietmar Bartsch in Stellung gebracht hatte. Ein Übergangsvorsitzender, meinten manche, ein Statthalter von Oskars Gnaden, andere.
Der so Geschmähte selbst sagt dazu, er habe nie das Bedürfnis verspürt, „hier reinzukommen“. Im Gegenteil, Kipping und er hätten „in einer besonders kritischen Situation Verantwortung für die Partei übernommen. Und die müssen und wollen wir jetzt tragen.“
Geschichten über die Linkspartei sind nicht zu begreifen, ohne die Bühne zu kennen, auf der sie sich abspielen: das Karl-Liebknecht-Haus. Es steht genau hundert Jahre in der Mitte Berlins und ist aufs Engste verbunden mit der Historie der deutschen Linken, mit ihren Sternstunden und Brüchen, den Sensationen und Krisen. Jede Menge Krisen.
Katja Kipping, die neue Vorsitzende, kannte das Haus von vielen Sitzungen. Dennoch, vor ihrem ersten Arbeitstag hatte sie „ein flaues Gefühl im Magen“. Das Amt, sagt die 34-Jährige, „hat Nachteile, man hat viele Termine und ist für alles verantwortlich.“ Ein Vorteil: „Man ist mit vielen tollen Leuten zusammen.“ Als sie und Riexinger anfingen, „musste ich zusehen, dass die Lust dominanter ist als der Frust“.
Hört man sich im Haus um, dominiert dieser Tage eher die Lust. Riexinger und Kipping schaffen möglicherweise, was ihre Vorgänger im Amt vergeblich versucht haben: einen Zusammenhalt herzustellen in einem Haus, in dem sich Neue und Altvordere eher argwöhnisch beäugen.
Die Parteivorsitzenden im Karl-Liebknecht-Haus, gelegen an einer stumpfen Ecke, hießen nach 1990 Gregor Gysi, Lothar Bisky, Gabi Zimmer, wieder Gysi. Ab 2007 gab es Doppelspitzen: Auf Bisky und Oskar Lafontaine folgten Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, nun Katja Kipping und Bernd Riexinger.
Vor fünf Jahren war die hier residierende Partei des Demokratischen Sozialismus die Ehe eingegangen mit der „Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit“. Diese Allianz aus ostdeutschen Kümmerern und westdeutschen Gewerkschaftern nahm den gemeinsamen Namen „Die Linke“ an. Man wollte damals Historisches wagen am historischen Ort: die Vereinigung der deutschen Linken, mithin die Bildung einer demokratischen Kraft links von der SPD.
Bekanntlich verläuft diese Ehe nicht glücklich. Die Landesverbände im Westen schmieren ab, im Osten sterben die Mitglieder weg. Die Brauteltern Gysi und Lafontaine sind verkracht, und im Frühling dieses Jahres dachten die ersten Genossen laut über Scheidung nach. Die amtierende Vorsitzende Gesine Lötzsch hatte hingeworfen; ihr Co., Porschefahrer Klaus Ernst, war nie ein Mann der Massen gewesen. Und als dann Lafontaines Intimfeind, der Ostdeutsche Dietmar Bartsch, ankündigte, als nächster Parteivorsitzender ins Karl-Liebknecht-Haus einziehen zu wollen, war das Chaos perfekt.
Denn nun quengelten auch noch die Vertreter in Ost- und West-Landesverbänden sowie die Vertreter noch der letzten linken Unterströmung. Namen wurden durchgestochen, Kandidaten aufs Schild gehoben und wieder fallen gelassen. Am Ende machte es „puff!“, und auf der Bühne des Göttinger Parteitags erschien ein durchquotiertes Führungsduo: Katja Kipping und Bernd Riexinger. Frau/Mann, Ost/West, PDSlerin/WASGler, die Sächsin und der Schwabe.
Alle waren sie hier: Wehner, Thälmann, Pieck
„Freilich, nur Begeisterung kann große Werke vollbringen. Überzeugung und Vertrauen ist nötig; Klarheit über Weg und Ziel.“ Mit diesem Motto, weiß auf knallrotem Grund, wird jeder Besucher des Berliner Karl-Liebknecht-Hauses begrüßt. Die Einlassung des Marxisten Liebknecht zum Thema Begeisterung und Vertrauen wirkt hier, in der Zentrale der Linkspartei, irritierend. Begeisterung in einem Bürogebäude, Klarheit einer linken Partei über Weg und Ziel?
Nach wie vor klaffen in der fusionierten 67.000-Mitglieder-Partei tiefe Gräben. Herkunft, Anspruch, Politikverständnis – zwischen den Partnern liegen Welten. Das gilt auch im KL-Haus.
1912 hatte es der Berliner Türschlossfabrikant Rudolph Werth als vierstöckige Etagenfabrik bauen lassen. Das Gebäude wurde von Kleinunternehmern genutzt. Im November 1926 kaufte die Kommunistische Partei Deutschlands das Haus und benannte es nach ihrem 1919 ermordeten Parteigründer Karl Liebknecht. In dem langgestreckten Gebäude drängte sich alles, was die Partei für ihre Arbeit brauchte. Hier hatten das Zentralkomitee seinen Sitz, die KPD-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg, der Kommunistische Jugendverband und der Rotfrontkämpferbund, außerdem die Redaktion der Roten Fahne. Vom Keller bis in die zweite Etage ragte eine Rollenrotationsmaschine empor, auf der das Zentralorgan des deutschen Kommunismus gedruckt wurde. Der Lärm im Innenhof muss kolossal gewesen sein.
Vorn an der Straßenfront, im Schatten der Transparente, die sich über die Fassade zogen, gab es eine Buchhandlung sowie ein Geschäft, in dem die Uniformen des Rotfrontkämpferbunds verkauft wurden. In der ersten Etage hatte die „Viva“ ihren Sitz, die Vereinigung der KPD-eigenen Verlage. Im zweiten Stock saß die Redaktion der Roten Fahne. In der dritten Etage residierten die Bezirksleitung von Berlin-Brandenburg sowie das Zentralkomitee.
Alle waren sie hier, die prominenten Revolutionäre. Der Parteivorsitzende Ernst Thälmann, der 1944 im KZ Buchenwald erschossen wurde. Der cholerische Herbert Wehner, der später einmal SPD-Fraktionsvorsitzender in Bonn werden sollte. Auch seine Genossen Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, die 1945 aus dem Moskauer Exil zurück nach Berlin gehen würden, um dort die Grundlagen zu errichten für ein Land, das DDR heißen und 40 Jahre bestehen sollte. Aber all das ist damals, in den ersten Jahren im KL-Haus, nicht einmal zu erahnen. Noch wird hier reinen Herzens an der Weltrevolution geschraubt. Auf dem Platz vor dem Haus finden Massendemonstrationen und Massenschlägereien statt – die Arbeiterklasse, die linke wie die rechte, kämpft handfest für ihre Ideale.
Der Journalist Carl von Ossietzky berichtet 1931 für die Weltbühne: „Das ganze Haus ist in seiner Verwinkelung ein wahres Labyrinth. Es gibt Türen ohne Klinken, die mit einem Griff untern Tisch geöffnet werden. Der Besucher fühlt sich unter argwöhnischen Blicken wie ein unglücklicher Wanderer, der aus Versehen in eine belagerte Festung geraten ist.“
Über den „Kapitalisten-flügel“ kommt Geld rein
Heute rufen keine Parolen mehr zum Klassenkampf auf. Das Karl-Liebknecht-Haus steht unter Denkmalschutz – Fassadengestaltung ist amtlich verboten. Durch die Flure werden Akten getragen, Telefone klingeln, Türen haben Klinken. Der Speisenaufzug, in dem der dicke Wilhelm Pieck stecken blieb, als er sich vor der Polizei versteckte, ist längst zugemauert. Im Erdgeschoss, wo der Uniformladen war, liegt das Konferenzzentrum. Hier gibt die Parteiführung Pressestatements ab; hier treffen sich jeden Dienstag die Parteisenioren. Die gesamte linke Hausseite ist vermietet an Gewerbetreibende, die Einnahmen aus dem „Kapitalistenflügel“ werden gebraucht.
Im „kleinen Buchladen“ an der Straße liegen die Erinnerungen von DDR-Vorderen aufgestapelt zum Verkauf, die Marx-Engels-Gesamtausgabe gibt es zum Schnäppchenpreis. In der Kantine, geöffnet montags bis freitags 8 bis 15 Uhr, werden Hackepeterschrippen und Bockwurst, Filterkaffee und Instantpudding angeboten. Die „undogmatische Vegetarierin“ Kipping findet hier nur selten etwas Essbares für sich; der „leidenschaftliche Koch“ Riexinger hat sich fest vorgenommen, „die kulinarische Lage im Haus anzugehen“. 80 Menschen arbeiten hier auf fünf Etagen. Im ersten Stock sitzen der Berliner Landesvorstand, auch der Studierendenverband und die Linksjugend. Darüber, im zweiten und dritten Stock, die Denkerwerkstatt: der Bereich internationale Politik, die Abteilung Kampagnen und Parteientwicklung, Strategie und Grundsatzfragen, das Büro der Europäischen Linkspartei sowie die Räume von Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn. Darüber nur noch: die Führung und das Geld – Parteivorsitzende und Schatzmeister.
Vom Sekretariat gehen die Vorsitzendenbüros ab: links Kipping, rechts Riexinger. In ihrem steht eine ultramoderne rote Couch, an den Wänden hängen Luxemburg- und Liebknecht-Porträts. Von hier oben hat man eine gute Aussicht über das wuchtige Dach der Volksbühne hinüber in den Prenzlauer Berg. Unten lagert der Rosa-Luxemburg-Platz mit seinem ramponierten Rasen. Ringsum Geschäfte, Cafés, Büros, ein Kino. Dies hier ist Mitte, Berlin-Mitte, zentrales Deutschland. Von hier aus wird linke Politik gemacht, werden inhaltliche Linien ausgekämpft.
Nicht wenige Mitarbeiter hätten sich gewünscht, dass Dietmar Bartsch ein Vorsitzendenbüro bezieht. Der 54-Jährige war schon hier, als die PDS noch als politisches Schmuddelkind galt. Bartsch war 1977 in die SED eingetreten. Als die Mauer fiel, blieb er Mitglied. Die Partei hieß nun PDS, und Bartsch war sich sicher: „Diese kapitalistische Gesellschaft kann nicht das Ende der Geschichte sein.“ Er war da Geschäftsführer der FDJ-Zeitung Junge Welt und mit 33 Jahren im richtigen Alter, um Karriere zu machen.
1991 holte ihn Gregor Gysi in die Kleine Alexanderstraße. „Drei Minuten Gespräch“, erinnert sich Bartsch, „dann war ich faktisch Schatzmeister. Die waren alle froh, dass ich das mache.“ Der ganze Finanzbereich war entlassen worden, einige verhaftet. Die PDS hatte im Sommer 1990 versucht, 107 Millionen D-Mark SED-Vermögen ins Ausland zu verschieben. Banken wurden misstrauisch und informierten das Bundeskriminalamt. Der Putnik-Deal kostete die Partei nicht nur 1,8 Milliarden ihres Altvermögens, sondern noch mehr Vertrauen.
Von den einst 2,3 Millionen SED-Mitgliedern hatten 95 Prozent den Wechsel zur PDS nicht mitgemacht. Der Parteiapparat war von gigantischen 8.000 auf überschaubare 150 Mitarbeiter geschrumpft. Bartsch war klar, dass es mit ihm als Schatzmeister Verwerfungen geben würde. „Trotzdem haben viele bis heute eine vertrauensvolle Beziehung zu mir.“
Dass die PDS das KL-Haus als „rechtmäßig erworbenes Eigentum“ behalten durfte, ist sein Verdienst. Als Schatzmeister hat er elf Hausdurchsuchungen mitgemacht, zwei in seiner Privatwohnung. „Sie kamen früh, und es war dunkel, als sie wieder gingen“, erinnert er sich an die Einsätze im Karl-Liebknecht-Haus. Die deutsche Polizei besetzt die Berliner Parteizentrale – diese Nachricht ging um die Welt. „Die Bilder zu 1933 waren sehr ähnlich“, sagt Bartsch heute. Was für ein Vergleich!
Anfang 1933 hatten SA und Polizei das Karl-Liebknecht-Haus besetzt und die KPD-Zentrale geschlossen. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar wurde auf dem Dach die Hakenkreuzfahne gehisst, das Gebäude wurde in Horst-Wessel-Haus umbenannt. Hier saß nun die Abteilung zur Bekämpfung des Bolschewismus, im Keller wurden Kommunisten gefoltert. Bis 1945 starben Tausende von ihnen in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern der Nazis, unzählige gingen in den Untergrund oder ins Exil.
Zur Parteirettung: Gregor Gysi im Hungerstreik
Nach 1945 hatte die aus DKP und SPD zwangsfusionierte SED Großes vor in Berlin. Das Karl-Liebknecht-Haus war zu klein, die Parteizentrale zog ins Regierungsviertel. Am KL-Haus wurden die Kriegsschäden beseitigt, das Gebäude wurde um eine Etage erweitert und diente als Büro- und Gästehaus. Bis 1989 wurden die Räume vom Institut für Marxismus-Leninismus genutzt, die Genossen waren nicht mehr interessiert an ihrem Haus.
Nach der Wende findet die geschrumpfte PDS hier in der Kleinen Alexanderstraße ihre historische Schmollecke. Dabei ist es alles andere als sicher, dass das Haus der Partei überhaupt gehört. Im Januar 1991 nimmt die Treuhandanstalt wegen der Putnik-Affäre sämtliche PDS-Konten unter ihre Kontrolle, kurz darauf auch die Immobilien. Die Partei steht vor dem Aus. Als Ende November 1994 das Finanzamt droht, eine Steuerforderung über 67 Millionen D-Mark zu vollstrecken, greifen Gysi, Bisky und Bartsch zu einem ungewöhnlichen Mittel: Sie treten in den Hungerstreik. Auf der anderen Straßenseite, in Frank Castorfs Volksbühne, klappen sie ihre Liegen auf.
Das Erstaunliche ist die Solidarität, die ihnen damals von zehntausenden Sympathisanten entgegengebracht wird. Nach einer Woche erhält die PDS Recht, die Streikenden beenden ihre Aktion, eine der wenigen verbleibenden Immobilien aus dem SED-Altvermögen ist das KL-Haus. Bis heute gelten diese Tage Mitte der Neunziger als identitätsstiftend. Wer dabei war, ist einer von den Ur-PDSlern. Wer nicht, kann erst dazugestoßen sein, als es kein Risiko mehr war, dazuzugehören.
Im Herbst 1994 zog die Partei mit 30 Abgeordneten erstmals in den Bundestag ein. Möglich machten das trotz magerer 4,4 Prozent vier Direktmandate. Ins Karl-Liebknecht-Haus kamen die ersten Westler. „Für die waren wir auf einmal attraktiv“, erinnert sich Bartsch, „die haben versprochen, den Westaufbau schnell voranzubringen, hatten ja nichts mit dem SED-Apparat zu tun.“ Es war eine erwünschte Öffnung gen Westen, die Parteistrategen wollten die PDS aus der Ostlerecke herausführen. Dennoch, selbst der Stratege Bartsch hatte „manchmal das Gefühl: Wer aus dem Westen kam, wurde kniend empfangen.“ Eine linke Partei, die sich mit den Unterdrückten der Erde solidarisiert – aber ein Problem mit Leuten von jenseits der Elbe hat. Gesamtdeutsche Ironie.
2005 schließlich konstituierte sich die WASG als gesamtdeutsche Partei. Die Fusion mit der PDS war nur noch eine Frage der Zeit, und im Karl-Liebknecht-Haus wurden die ersten WASGler fest eingestellt. Dietmar Bartsch, zu dieser Zeit Bundesgeschäftsführer, schildert die ersten Konflikte. „Sie forderten zum Beispiel gleich die Bezahlung von Überstunden. So etwas kannten wir hier nicht. Hätten wir Anfang der Neunziger nicht ganz anders – solidarisch! – miteinander gearbeitet, hätten wir nicht überlebt.“
Sieben Jahre ist das her. Sieben Jahre hält diese fragile Ost-West-Beziehung. Nicht einmal die Heirat von WASG und PDS vor fünf Jahren, das Bekenntnis zum gesamtdeutschen Projekt, konnte die Unterschiede nivellieren. Um den Obergenossen Lafontaine zu befrieden, hat Gysi vor zwei Jahren sogar seinen Freund Dietmar Bartsch geopfert. Weil der angeblich die Beziehung zwischen Lafontaine und Sahra Wagenknecht ausgeplaudert hatte, musste er seinen Posten als Bundesgeschäftsführer räumen. Geholfen hat es nichts: Gysi und Lafontaine sind mittlerweile tief verstritten; viele sehen die Partei als Beute des Saarländers.
Katja Kipping und Bernd Riexinger waren sich all dessen bewusst, als sie im Juni als Vorsitzende kandidierten. Fünf Monate sind vergangen, seit sie hier ihre Büros bezogen haben. Berlin, Kleine Alexanderstraße 28, Karl-Liebknecht-Haus, Ort der Kämpfer und Verschwörer, der Helden und Verräter. Eine Sächsin und ein Schwabe in historischer Mission. Gefragt, ob sie sich dessen bewusst seien, antwortet Kipping, sie spüre immer deutlicher: „Es ist total wichtig, zu wissen, wie die Partei sich in ihre Geschichte einordnen lässt.“ Der abwägende Riexinger sagt, er fände es „nicht heroisch, eine Partei zu führen. Aber es ist etwas Neues, dass es Jahrzehnte nach dem Krieg eine vereinigte linke Partei gibt, die nicht marginalisiert ist.“ So viele schöne Adjektive. Belassen wir’s doch fürs Erste bei „linke Partei“. Alles weitere könnte sich noch finden.
■ Anja Maier, 47, ist Korrespondentin im taz-Parlamentsbüro. Sie hat sich dagegen entschieden, im Karl-Liebknecht-Haus zu essen