Ein Mammutwerk zur neuen Zeit

Am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen laufen die Fäden eines Großprojektes der deutschsprachigen Geschichtsschreibung zusammen. Hier entsteht derzeit der zweite Band der „Enzyklopädie der Neuzeit“, der dann die Schlagworte von „Beobachtung bis Elternrecht“ umfassen wird

Die letzten Manuskripte erreichen in diesen Tagen das kleine Büro im Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen. Privatdozent Friedrich Jäger sichtet die von Fachautoren geschriebenen Texte, mahnt überfällige Beiträge an, diskutiert Korrekturvorschläge. Im KWI laufen die Fäden zusammen für den zweiten Band eines monumentalen Buchprojekts: Die „Enzyklopädie der Neuzeit“.

Bis zum Oktober 2012 sollen im Metzler-Verlag 16 Bände erschienen sein. Auf rund 9.600 Seiten wird dann das gesamte Wissen unserer Zeit über die Epoche „Neuzeit“ zusammengefasst sein. In 4.000 Einzelbeiträgen sollen so ziemlich alle Aspekte der Zeit zwischen 1450 und 1850 beleuchtet werden. Und eben da, bei der „Beleuchtung“, endete der im Mai erschienene erste Band. Schon jetzt ein Fundus des Wissens von „Ägyptologie“ über „Afrikanischen Religion“ bis zu seltenen Querschnittthemen wie „Agrarindividualismus“, „Angst“ oder „Auge“. Die Schlüssel-, Dach- und Einzelartikel erschließen die Epoche, verknüpfen Erkenntnisse aus unterschiedlichen Wissensgebieten und versuchen sich zudem an einer Sprache, die nicht nur Wissenschaftler verstehen.

„Besonders wichtig ist es uns bei diesem Projekt, die Dinge in einen Kontext zu stellen“, sagt Friedrich Jäger.

Artikel zur „Atlantischen Welt“ dürfte man in anderen Enzyklopädien vergeblich suchen: Das Stück befasst sich mit den Columbus-Reisen und der Unabhängigkeit der USA. Helmut Bley und Hans-Joachim König untersuchen den Einfluss der USA auf die europäischen Revolutionen und beschreiben eine Geschichte der gegenseitigen Beeinflussung und Befruchtung in Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft.

Die Enzyklopädie versteht sich als interdisziplinär. Historiker bleiben bei der Arbeit nicht unter sich. Unter den Hunderten Fachautoren befinden sich ebenso Ökonomen, Musikwissenschaftler oder Mediziner. Beim Verfassen ihrer Beiträge müssen sie sich allerdings auf die historische Bedeutung des jeweiligen Themas konzentrieren. Letzte Kontrollinstanz ist hier neben zwei Dutzend Fachgebiets-Herausgebern der habilitierte Neuzeithistoriker und Nordamerika-Spezialist Friedrich Jäger.

Vorbild des Werkes sind „Der Neue Pauly“ – die vielbändige Enzyklopädie der Antike – und das „Lexikon des Mittelalters“. Mit seiner etwas anderen Konzeption, die keine Personen- und Länderartikel vorsieht, ist das Projekt im deutschsprachigen Raum der erste Versuch, ein Standardwerk für die Neuzeit zu schaffen. Dass man damit erst jetzt beginnt, hänge wohl auch mit der durchaus unscharfen Definition der Epoche zusammen, so Jäger.

Während mancher Historiker die Neuzeit schon mit der Französischen Revolution ausklingen lässt, halten andere sie wiederum für bis heute nicht beendet. Die Macher des überwiegend vom Stuttgarter Metzler Verlag frei finanzierten Großprojekts hingegen schon. Sobald der letzte Registerband in rund sieben Jahren erschienen ist, will man sich an die Arbeit einer Enzyklopädie der Moderne machen, die historische Entwicklungen bis in die Gegenwart fortschreiben möchte. HOLGER ELFES

Die „Enzyklopädie der Neuzeit“ kann nur als 16-bändige Gesamtausgabe bezogen werden. Bis zum 31. Juli 2006 gilt der Subskriptionspreis von 2.718,40 Euro; danach 3.198,40 Euro