Risse im VW-Gemälde
Bis ins Detail schuhriegelt die Wolfsburger Autostadt ihre Mitarbeiter mit Kleidungsvorschriften. Gelockerte Krawatten gelten als „degoutant“, Beschäftigte müssen täglich ihre Schuhe putzen
von Kai Schöneberg
Von außen sehen sie akkurat aus. „Das Kleidungsbild“ der Mitarbeiter der Wolfsburger Autostadt habe „lange Zeit einem gut komponierten Gemälde geglichen“, heißt es in einer Personalanweisung aus Europas größtem Autokonzern. Drei Millionen Euro soll die Dienstkleidung gekostet haben, schließlich „sagt auch unsere Kleidung und wie diese getragen wird etwas über unsere Kundenfreundlichkeit und unsere respektvolle Haltung aus“.
Doch in die Pavillons des VW-Erlebnisparks müssen Schlendrian und schlechtes Arbeitsklima eingezogen sein. Wer sich nämlich nicht an den Kleiderkodex hält, wird nicht nur vom zuständigen Bereichsleiter „rein zitiert und fertig gemacht“, wie es auf einer Homepage von anonymen VW-Mobbingopfern heißt. Die Autostadt hat jüngst in einer „Anweisung zur Einhaltung der Grooming Standards“ (Pflege-Richtlinien) daran erinnert, wie sich die 900 Mitarbeiter zu kleiden haben. Denn: „Den erreichten Standard drohen wir gegenwärtig zu verlieren“.
Laut dem Papier, das der taz vorliegt, gelten „gelockerte Krawatten mit geöffnetem Hemdkragenknopf als degoutant“. Krawatten seien „der Schmuck des Mannes“ und daher „tadellos gebunden zu tragen“. Dabei akzeptiert die Autostadt nur einfache oder doppelte Windsor-Knoten. „Wie diese zu binden sind, können Sie der beigefügten Anleitung entnehmen“, heißt es in der Anweisung. „Führende Herrenausstatter empfehlen das Üben an einer Stuhllehne“.
Herren dürften zudem bei ausgezogenem Sakko die Hemdärmel nicht hochkrempeln. In Gegenwart einer Dame gelte es „weiterhin als stillos, das Sakko abzulegen“. Zudem müssten laut Autostadt-Knigge bei Sakkos wie bei Blazern die oberen Knöpfe geschlossen sein, „insbesondere bei Begrüßungen ist dies eine Frage der Höflichkeit“.
Angestellte sollen täglich ihre Schuhe putzen, um „den gesamten Eindruck von Autostadt-Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen positiv zu unterstreichen“. Sichtbare Piercings sind verboten, „bei Herren ist mit Ausnahme des Eherings jeglicher Schmuck unerwünscht“.
Die Mahnung ging bis zum Betriebsrat. Der wies „aus aktuellem Anlass“ auf die Betriebsvereinbarung hin, die die Bekleigungsregeln im Haus festschreibt, betonte aber auch, dass es Regelungen zur Lockerung insbesondere an heißen Sommertagen gebe. Darauf weist auch Autostadt-Sprecherin Regina Bärthel hin. „Natürlich dürfen die Hemdärmel hochgekrempelt werden, wenn es warm ist“, betont Bärthel. Klar sei aber auch, dass jeder Mitarbeiter die Dienstkleidungs-Vorschrift in seinem Vertrag unterschrieben habe. Die „Kommunikationsplattform“ von VW stehe für bestimmte Werte. „Da sind wir stolz drauf“, so Bärthel.
Margit Ricarda Rolf kann dazu ihre eigene Geschichte erzählen. Als die Leiterin der Hamburger Mobbing-Zentrale zum 5-Jährigen Jubiläum der Autostadt im Mai 1.500 Protestzettel gegen die seit langem kritisierten Zustände vor Ort in Wolfsburg verteilte, habe sie nicht nur viel Zustimmung erhalten. Eine Ex-Mitarbeiterin, die krankheitsbedingt zugenommen hatte, klagte der Mobbing-Expertin ihr Autostadt-Leiden. Rolfs Fazit: „Wer nicht dem dort grassierenden Modell-Wahn entspricht, gerät in die Schusslinie“.