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Archiv-Artikel

Unter Männern

Hein Verbruggen, Präsident des Radsport-Weltverbandes, treibt ein absurdes Spiel, um seine Macht zu stabilisieren. Die Deutsche Sylvia Schenk geht dagegen vor. Am Freitag fällt eine Entscheidung

VON MARKUS VÖLKER

Hein Verbruggen hatte sie in einem Brief gewarnt. „Das ist eine Männerwelt, besser, du passt dich an, als sie zu bekämpfen“, hatte er geschrieben. Die Adressatin war Sylvia Schenk, 43. Da amtierte sie noch als Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Nun ist die Juristin aus Frankfurt Mitglied des UCI-Direktoriums, des Weltverbandes also. Schenk wurde im BDR von Rudolf Scharping ersetzt – einem Mann für alle Fälle.

Schenk, die sich so gar nicht an die Gepflogenheiten der Männerwelt gewöhnen wollte, bekommt all die merkwürdigen Vorgänge aus nächster Nähe mit, die sich dieser Tage im Weltverband zutragen. In Madrid soll am heutigen Freitag ein neuer Patron gewählt werden; der Niederländer Verbruggen ist der alte, seit 1991 im Amt. Beobachter attestieren ihm eine feudale Amtsführung, halten die UCI ob ihrer verwinkelten Strukturen und der Hörigkeit gegenüber dem Präsidenten für eine „Mafia-Truppe“. Weil Schenk gegen Machenschaften und Postengeschacher angegangen ist und deswegen das inoffizielle Schweigegelübde gebrochen hat, ist ihr eine Verleumdungsklage der UCI ins Haus geflattert. „Es ist ein weiteres Mittel, Druck auf mich auszuüben“, konstatiert Schenk.

Es ist nicht der letzte repressive Akt aus dem Hause Verbruggen. In Madrid wird sie von der Herrenrunde – es sitzen zwölf Funktionäre im Direktorium – wie eine Renegatin behandelt, eine Abtrünnige, die an Kungelrunden nicht teilnehmen darf. Verbruggen, der einmal das Blutdopingmittel Epo in seiner Nützlichkeit mit dem Potenzpusher Viagra vergleicht, tut alles, um seine Machtfülle zu erhalten. Ursprünglich war geplant, einen Popanz an seiner statt zu bestellen. Der vom Holländer erwünschte Kandidat ist Pat McQuaid. Der Ire wird seit Monaten im UCI-Sitz Aigle in der Schweiz angelernt und üppig alimentiert, mit dem klaren Hinweis Verbruggens, sein Nachfolger müsse sich in die Geschäfte einarbeiten. Nun wird selbst in der UCI nach demokratischem Procedere gewählt, auch wenn es sich, wie die Welt feststellt, um „eine Demokratie nach chinesischem Vorbild“ handelt. Es gibt Gegenkandidaten zu Verbruggens Marionette, den Spanier Gregorio Moreno und den Malaysier Darshan Singh. Weil Verbruggen, 64, die unerwartete Konkurrenz verschreckt hat, trat er selbst wieder in den Ring – mit einer Geheimkandidatur. All dies verstieß gegen diverse Statuten, doch die UCI-Ethikkommission wollte nichts Verwerfliches daran finden – eine Hand wäscht die andere. Im Radsport gilt das Gebot der Loyalität und Verschwiegenheit.

Doch an diese Gepflogenheiten wollte sich der spanische Verband nicht halten und brachte, wohl auch, um den eigenen Kandidaten zu stärken, einen Supervisor ins Spiel, der die von Verbruggen höchstselbst geleiteten Wahlen kontrollieren sollte. Das empörte Verbruggen. Einer seiner Lakaien verfasste einen Brief an den spanischen König und führte darin Beschwerde, die Spanier würden gegen das Gebot der Gastfreundschaft verstoßen. Schmollend zog sich die Herrenrunde in die Schweiz zurück – und fehlte bei der Eröffnung der Rad-WM. „Die sind alle geflohen und haben mir kein Ticket gegeben“, schildert Schenk das „Bubenstück“ (SZ). „Das war ein Schuss in den Ofen, der mindestens 20.000 Franken gekostet hat.“ Immerhin konnte Verbruggen per Gerichtsbeschluss den Controller entfernen lassen, was er am Mittwoch großspurig als Sieg verkaufte. Die scheuen neun sind nun wieder in Spaniens Hauptstadt, am Donnerstagmorgen tagten sie sogar schon wieder – mit Schenk, die mitbekam, dass ein Schreiben der olympischen Sommersportverbände an die Anti-Doping-Agentur Wada auf dem Weg sei, in dem gefordert werde, dem französischen Labor in Châtenay-Malabry möge die Akkreditierung entzogen werden; hier wurden die positiven Proben von Lance Armstrong analysiert.

Noch sei „völlig auf der Kippe“, wie der Machtkampf ausgehen werde, sagt die Deutsche. Sie appelliert an „die Vernunft der Wahldelegierten“, 42 an der Zahl. „Verbruggen länger im Amt – das will keiner“, glaubt sie. Die illustre Männerrunde könnte freilich ganz anderer Meinung sein.