zwischen den rillen
: Die Erfindung der Welt

Für diese Harmonien mussten einige Schwanfamilien sterben: „Dovetail“, das neue Album der Pop-Perfektionisten Coloma

Robert Taylor, der aus London stammende Sänger des Kölner Duos Coloma, hätte längst reich und berühmt sein können. So blutsverwandt erscheinen seine Musik und sein Gesang beim ersten wie beim wiederholten Hinhören mit den mordserfolgreichen Songs der frühachtziger Pop-Himmelsstürmer ABC („The Lexicon Of Love“) und Prefab Sprout („Steve McQueen“), dass man sich fast wundert, wie wenige Sänger und Bands in den letzten zwanzig Jahren auf der möglicherweise hoffnungslosen Suche nach der perfekten Popmusik die zugleich kalt wirkenden, stilisierten und durchdeklinierten wie hymnischen, leidenschaftlichen, zur großen Geste neigenden Wohlklänge der englischen Ahnen ins Heute zu übertragen versucht haben.

Korrektur: Weder Robert Taylor noch Paddy McAloon von Prefab Sprout noch ABCs David Palmer waren möglicherweise jemals auf der Suche nach Perfektion und/oder Pop oder gar beidem. Ihr Antrieb war und ist immenserer Natur, ihr Scheitern umso grandioser, weil ewiger, denn sie klauten beständig, und zwar von schwarzen, amerikanischen Soul-Schallplatten – und sie taten es britisch zugeknöpft, statt amerikanisch loose und groovend. In diesem Sinne bewegen sich Robert Taylor und mit ihm Coloma in der langen englischen Tradition des Missinterpretierens der schwarzen Musik, genauer gesagt: des Soul Smokey Robinsons und Otis Reddings und des Memphis Sound um Booker T. And The MG’s. Diese englische Tradition des Greifens nach den Sternen reicht weit zurück, bis hin zu den Rolling Stones oder gar David Bowie, der mit „Young Americans“ eine fürchterliche Soul-Platte (aber ein wunderbares Pop-Album) veröffentlichte. Sonderbar zwar, aber wahr: Coloma befinden sich in einer auf den ersten Blick ebenso illustren wie zusammengewürfelten, aber von einer gemeinsamen Idee vereinten Gesellschaft.

Vor zwanzig Jahren wäre Colomas großartigem dritten Anlauf nach ihrem adult-elektronischen Debüt „Silverware“ und dessen sonnig-abgeklärten Nachfolger „Finery“ ein Welterfolg vorhersagbar gewesen, und damit nicht genug: Auch die Boheme der Städte hätte sich auf „Dovetail“ einigen können. So massenverführerisch und doch introvertiert kommen die zehn mit Lapsteel-Gitarre, Vibrafon, Tasteninstrumenten, Bass, Schlagzeug und hyperpräzisen Bläsersätzen instrumentierten neuen Songs von Coloma um die Ecke. Zwar weiß Robert Taylor, wie Welterfolg schmecken kann, seit er vor vier Jahren für den Kölner Produzenten Matthias Schaffhäuser eine House-Version des einstigen Icehouse-Hits „Hey Little Girl“ einsang, die europaweit im Radio gespielt wurde. Doch Taylor war klug genug zu ahnen, dass diese Karte womöglich kein zweites Mal stechen würde.

Entstanden ist das Album in wenigen, kurzen Sessions in zwei deutschen Studios, die wie keine anderen für eine große Vergangenheit und eine differenzierte Zukunft stehen: Conny Planks Studio in Wolperath und Tobias Levins Electric Avenue in Hamburg. Alexander Paulick, Multiinstrumentalist und Robert Taylors musikalischer Partner seit gemeinsam verbrachten Straßenmusikertagen in Paris, führte einige der profiliertesten Musiker dieses Landes – unter ihnen Christoph Clöser von Bohren & der Club of Gore am Steinway, Thomas Klein von Kreidler an einem von zwei Schlagzeugen und Blumfelds Saxophonist Lieven Brunckhorst als Koordinator peitschpräziser Bläsersätze – zusammen und ließ sie seine Arrangements auf ihren Musikinstrumenten nachspielen. In anschließender zweijähriger Feinarbeit setzte Paulick die so entstandenen analogen Tonspuren am Computer neu zusammen, begab sich tief in die Molekularwelt der Logic-Musik-Software, cuttete etwa die Startmomente der Klänge – des Einsatzes von Taylors Stimme, der Bläser, eines Klavierakkords – um den echten Klängen durch solcherlei Bearbeitungen ein fast unhör-, aber sehr wohl spürbares Moment des Artifiziellen zu verleihen.

So ist „Dovetail“ ein Paradebeispiel für hierzulande entstandene Musik, die sich von verniedlichendem Eskapismus ebenso fern hält wie von grober Affirmation. Anders gesagt: Für die Harmonien, die sich auf „Dovetail“ im Überfluss finden, mussten ganze Schwanfamilien sterben. Colomas Musik hat von der Zeit, die Alexander Paulick und Robert Taylor in ihr Album investiert haben, ebenso profitiert wie von dem Umstand, dass sie als Fremde in einem fremden Land wie losgelöst von den hier gepflegten Auseinandersetzungen an einem zeit- und ortsfernen musikalischen Paralleluniversum arbeiten konnten. Coloma sind, von unsichtbaren Fliehkräften gelenkt, ihr eigenes Genre geworden. Zwanzig Jahre nach ABC und Prefab Sprout. Vierzig Jahre nach Memphis. MAX DAX

Coloma: „Dovetail“ (Klein Records/ Rough Trade)