Massenexodus in Texas

Über eine Million Menschen fliehen vor Hurrikan „Rita“ aus den bedrohten Gebieten. Er ist jetzt der drittstärkste Sturm seit Beginn der Messungen

VON BERND PICKERT

In der Küstenregion des US-Bundesstaates Texas läuft die größte Evakuierungsaktion der texanischen Geschichte. Mehr als eine Million Menschen sind aufgefordert, ihre Heimatorte zu verlassen, bevor Hurrikan „Rita“, derzeit als weiter erstarkter Sturm der obersten Kategorie 5 im Golf von Mexiko unterwegs, am frühen Samstagmorgen auf die Küste treffen wird.

Insbesondere die Inselstadt Galveston, mit ihren nur wenige Meter hohen Dämmen praktisch ungeschützt vor Flutwellen, die nach Expertenmeinung bis zu 20 Meter Höhe erreichen können, war bereits gestern fast vollständig evakuiert. Aber auch aus Houston, rund 100 Meilen weiter nördlich, haben sich die EinwohnerInnen in kilometerlangen Autokolonnen auf den Weg gemacht. US-Präsident George W. Bush erklärte die Bundesstaaten Texas und Louisiana zum Notstandsgebiet. „Wir hoffen und beten dafür, dass Hurrikan ‚Rita‘ kein zerstörerischer Sturm wird, aber wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten“, sagte Bush am Mittwoch.

„Rita“ ist am Mittwoch auf Windgeschwindigkeiten über 280 Stundenkilometer angewachsen. Nach den Daten des Sturmwarnungszentrums in Miami ist „Rita“ damit der drittstärkste Hurrikan seit Beginn der Messungen. Für gestern wurde eine leichte Abschwächung erwartet, da Rita über kühlere Gewässer im Golf von Mexiko hinwegzog. Doch selbst ein Hurrikan der Kategorie 4, das hat „Katrina“ vor dreieinhalb Wochen eindrucksvoll bewiesen, verfügt über enorme Zerstörungskraft. Die offizielle Zahl der Todesopfer von „Katrina“ war am Mittwoch auf über 1.000 gestiegen.

Im Unterschied zu den verfehlten Rettungsbemühungen vor und nach „Katrina“ berichten die lokalen Medien jetzt von einer vorbildlichen Evakuierung. „Küstentexaner sollten nicht bis Donnerstagabend oder Freitagmorgen warten“, sagte Gouverneur Rick Perry: „Häuser und Geschäfte können wieder aufgebaut werden – Menschenleben nicht.“ Offensichtlich eingeschüchtert durch die Bilder aus New Orleans und Biloxi halten sich die Menschen an die Aufforderung zum Verlassen der Küstenregion. Krankenhäuser werden evakuiert, und viele, die ein Fahrzeug besitzen, sind der Aufforderung nachgekommen, freie Sitzplätze für andere ohne eigenes Auto anzubieten. Auch die Schulbusse, in New Orleans noch völlig nutzlos abgesoffen, sind im Einsatz, um Menschen aus der Gefahrenzone zu bringen.

Die Polizei in den evakuierten Orten ist vollständig im Einsatz, um Plünderungen in den verlassenen Städten von vornherein zu unterbinden und die Evakuierungsanordnung durchzusetzen. Auch Militär steht bereit, um auf Anfrage schnell einsatzbereit zu sein.

Noch ist nicht ganz klar, an welcher Stelle „Rita“ auf die Küste treffen wird. Die Prognosen gingen gestern davon aus, dass der Sturm zwischen drei und sechs Uhr morgens am Samstag früh bei Matagorda ankommen wird, rund 75 Meilen von Galveston entfernt. Doch die Schneise, innerhalb deren der Sturm Hurrikanstärke hat, ist allein 70 Meilen breit, also rund 110 Kilometer. In der Region gibt es mehrere petrochemische Fabriken, einige der größten Raffinerien des Landes und ein Atomkraftwerk mit zwei Reaktoren. Sie sollten vorsorglich abgeschaltet werden.