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Archiv-Artikel

Vier Wochen Ferien …

Für Wissenschaftler könnte Wahlkampf fast ein Idyll sein. Wenn die Medien nicht wären. Und so sieht sich Paul Kirchhof als „einen, der auszog, in dieser Republik den Reformeifer neu zu entfachen“

AUS BERLIN STEFFEN GRIMBERG

Um Paul Kirchhof muss man sich keine Sorgen machen: erst Kompetenzträger und designierter Minister im verunmöglichten Kabinett Merkel und Radikalreformer des deutschen Steuerwesens – und jetzt doch wieder nur der „Professor aus Heidelberg“ (Gerhard Schröder)? Für Kirchhof, das versucht er beim ersten Auftritt nach der Wahl zu vermitteln, kein Problem. Wenn er seine Erfahrungen über die kurze Zeit im politischen Rampenlicht zusammenfasst, hört sich das eher an wie ein Referat zum Thema „Mein schönstes Ferienerlebnis“. Der Wahlkampf – ein Idyll?

Doch dann sagt er vor den zum Kommunikationskongress in Berlin versammelten Pressesprechern Sätze wie: „Die Macht des Worts kann Politik vernichten und Menschen zerstören.“ Denn trotz „teilweise vorzüglicher“ Medienberichterstattung bleibe manchmal die Sachlage auf der Strecke – und dann kommt der Beifall von der falschen Seite.

Beziehungsweise der Frontalangriff. Kirchhof sieht sich weiterhin ganz unbefangen als den, „der auszog, in dieser Republik den Reformeifer neu zu entfachen“, und dabei bitter missverstanden wurde.

In seiner Medienkritik verbindet er wie selbstverständlich die intellektuelle Prägnanz des Akademikers alter Schule mit abgrundtief abgeklärter Güte. Und immer stärker drängt sich der Eindruck auf, als wolle hier jemand den Zusammenhang von Presse und Politik bewusst nicht verstehen. Die Medien müssten ja schließlich komplex-ausschweifende Sachverhalte holzschnittartig auf das Wesentliche herunterbrechen, spricht Kirchhof. Dabei passierten natürlich auch Fehler. Und der Bürger wolle außerdem mit vollem Recht „abends vor seinem kleinen Welttheater, dem Fernsehgerät, unterhalten sein – und auch trefflich aufgeregt werden“.

Hervor tritt so das besondere Problem der Politik: Kein Akteur im öffentlichen Leben, der sonst so stark „aufs tägliche Plebiszit der Bürger angewiesen“ sei. Doch wie fühlt dann ein Wissenschaftler, den es wie ihn „spontan in einen schon laufenden Wahlkampf“ hineingeweht hat? „Wahlkampf“, sagt Kirchhof, sei nun einmal ein „Spiel von Sprechen und Schweigen“, auch vom Verschweigen – und ihm, das sagt er nur so deutlich natürlich noch nicht, deswegen auch heute noch suspekt.

Er wundert sich ein wenig

Denn in der Wissenschaft ist alles „schon publiziert“, bekannt. Da legt dann also der Steuerexperte Kirchhof eine differenzierte Themenliste vor, die die Ausnahmen im Steuerrecht zum Inhalt hat. Er will einiges streichen, manches durch anderes ersetzen, hier etwas verstärken, dort die Verwaltung vereinfachen. „Doch diese Themenliste wird im Wahlkampf zur Streichliste“, sagt Kirchhof – und wundert sich immer noch ein bisschen darüber: „Da ist der Wissenschaftler natürlich in der Defensive.“ (Natürlich auch, weil seine eigene Partei ihn hängen ließ. Doch das sagt Kirchhof natürlich nicht.)

Genauso wenig kann er verstehen, was mit seinem dreistufigen 25-Prozent-Einkommensteuermodell passiert ist: „Der mächtige Konkurrent, der gegenwärtig seine Mächtigkeit vielleicht überschätzt, hat uns die Diskussion über eine Kopfsteuer aufgedrückt“, kommentiert Kirchhof kopfschüttelnd Schröder. „Wir mussten Dinge erklären, mit denen wir nicht gerechnet hätten“ – und damit kann Kirchhof gar nicht umgehen. Ihm fehlt der Instinkt des Politikers.

Und so war für ihn der vergangene Sonntag zwar „eine große Enttäuschung“. Die aber kaum Spuren hinterlässt: Kirchhof ist weiter der konservative Wertevermittler in Sachen Familie und Staat. Der hoffende Wissenschaftler, der „eine These begründet“. Bis die sich durchgesetzt habe, dauere es 20 Jahre – „ich bin mit meinen Thesen im 18. Jahr“, sagt Kirchhof, bevor er vollends lutherisch wird: „Wenn sich einer von Ihnen morgen entschließt, ich baue ein Haus; wenn sich einer von Ihnen morgen entschließt, eine Firma zu gründen“, predigt er den 1700 PressesprecherInnen, die an seinen Lippen hängen, „wenn sich zwei Menschen hier noch heute Abend entschließen, wir gründen eine Familie; dann bin ich verstanden.“

Um Paul Kirchhof muss man sich, wie gesagt, keine Sorgen machen.