: „Die Wähler sind weiser als die Politiker“
Der Osten, oft als unberechenbares Wesen karikiert, hat berechenbar gewählt und Union, SPD und Linkspartei im Osten fast gleich stark gemacht . Ein kluges Votum gegen soziale Kälte, meint Hans-Joachim Maaz
taz: Herr Maaz, diesmal scheint sich niemand laut über die Ost-Wähler zu beschweren, die sonst doch immer an allem schuld sind. Warum eigentlich nicht?
Hans-Joachim Maaz: Das hat schon damit zu tun, dass auf die Stoiber- und Schönbohm-Aussagen ein Aufschrei durch den Osten ging. Da kam für viele die wahre Meinung westdeutscher Politiker durch. Deshalb ist man jetzt besonders vorsichtig. Dafür wird die Linkspartei ganz besonders abgelehnt und abgewertet. Das wird hier oft so erlebt, als würden auch die besonderen Probleme der Ostdeutschen nicht ernst genommen. Das ist ja die Partei, die am deutlichsten ostdeutsche Probleme formuliert und Interessen vertritt. Ich bin deshalb ziemlich froh, dass diese Partei in den Bundestag gekommen ist.
Macht Einsamkeit nicht auch stark?
Ja. Aber die Stärkung gegen etwas ist nicht sonderlich kreativ. Es wäre besser, man findet im positiven Sinne für etwas zusammen.
Die Linkspartei ist aber nun kein rein ostdeutsches PDS-Phänomen mehr.
Lafontaine ist ein profilierter Politiker des Westens. Dass man ihn auf seinen damaligen Ausstieg bei Schröder reduziert, ist auch nur eine Abwertung der von ihm vertretenen politischen Inhalte. Das halte ich für einen verhängnisvollen Fehler, weil es genau die speziellen sozialen Themen sind, die angepackt werden müssten.
Das Soziale ist kein ost-spezifisches Thema …
Ostdeutschland ist da der Vorreiter, weil sich die Probleme hier zuerst und besonders drastisch zeigen. Die Zahl derjenigen, die Anteil an Wachstum und Wohlstand haben, wird überall geringer. Die Verlierer bilden überwiegend die Klientel der Linkspartei.
Also wächst in der Arbeitslosigkeit zusammen, was zusammengehört?
Das kann man so sagen. Zumindest im Protest, in der kritischen Nachdenklichkeit, im Bewusstsein der Begrenztheit materiellen Wachstums. Die größeren Parteien halten an der Utopie fest, durch Wachstum Arbeit zu schaffen. Die Wähler haben insofern weise entschieden, als sie keinem Lager eine Mehrheit verschafften.
Ist der Trend zu den kleineren Parteien ein letzter demokratischer Akt vor der Wahlverweigerung?
Das kann man so sehen. Ich fürchte, die momentan agierenden Politiker sind eben nicht in der Lage, integrativ zu agieren. Sie haben sich im Gegeneinander aufgebaut. Ich kann die Befürchtung von Egon Bahr nicht teilen, bei einer großen Koalition würden die Extreme hochkochen. Wir hätten dann auch eine starke und breit gefächerte Opposition im Bundestag.
Gilt das Klischee vom unberechenbaren Ossi, dem Hasardeur in der Wahlkabine, noch?
Das glaube ich nicht. Die ostdeutsche Wählerschaft ist gedrittelt zwischen SPD, CDU und Linkspartei. Die Ostdeutschen werden immer berechenbarer in ihrem Protest gegen soziale Kälte und ungerechte Verteilung.
Ist die Linke eigentlich die Partei des artikulierten „Gefühlsstaus“?
Der Vergleich hinkt ein bisschen, aber im Prinzip schon. Etwas von diesem Gefühlsstau war ja im Vorjahr bei den Hartz-IV-Demonstrationen zu spüren. Ob die Agenda 2010 nun richtig ist oder nicht – jedenfalls ist der Protest notwendig, der darauf aufmerksam macht, dass immer mehr Menschen aus der materiellen Sicherheit herausfallen.
Erschüttert das Berliner Machttheater nicht zusätzlich das ohnehin wenig gefestigte Demokratievertrauen der Ostdeutschen?
Das muss man befürchten. Ich wiederhole: Im Moment sind die Wähler weiser als die Politiker. Das Wahlergebnis nötigt die Politiker zur Verständigung. Aber das Gegeneinander des Wahlkampfs setzt sich fort. Zuzuhören, sich einzufühlen, den anderen gelten zu lassen, Kompromisse zu schließen, diese integrativen Potenzen sind nach meinem Verständnis die höchsten seelischen Fähigkeiten. Und genau diese sind Berlin nicht erkennbar.
Haben Sie eine Erklärung für die ostdeutsch-bayerische Allianz in der Ablehnung von Frau Merkel?
Da gibt es unterschiedliche Motive. Bei den erzkonservativen Bayern kommt Ossi, Frau und Protestantin überhaupt nicht an. Wenn es Zustimmung gab, dann aus machttaktischen Gründen. Frau Merkel war nicht mehr zu verhindern. Bei den Ostdeutschen hat sie mögliche Sympathien wohl dadurch verspielt, dass sie betont nicht für den Osten eingetreten ist. Sie wollte immer für Ost und West, Nord und Süd Kanzlerin sein und hat die gravierenden Probleme Ostdeutschlands bagatellisiert. Viele haben deshalb von ihr nichts für den Osten erwartet. Sie muss wahrscheinlich erst einmal Kanzlerin werden, um dann endgültig demontiert zu werden. Das ist freilich tragisch für das Land.
INTERVIEW: MICHAEL BARTSCH