Ilisu-Staudamm zu verkaufen

Selbst die Weltbank will mit dem Projekt nichts mehr zu tun haben: Seit Jahrzehnten protestieren die Kurden gegen den Ilisu-Staudamm am Tigris. Jetzt sucht Siemens einen Käufer für das umstrittene Projekt. Geplanter Baubeginn: schon im Oktober

VON ARIANE BRENSSELL

Jahrelang haben die kurdischen Anwohner gegen den Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei gekämpft – jetzt entscheidet sich, wer ihr nächster Gegner ist. Das EU-Kartellamt hat Siemens vorgeschrieben, die Hydro-Sparte der VA-Tech zu verkaufen. Der geschätzte Preis von 300 Millionen Euro enthält auch den umstrittenen Ilisu-Staudamm.

Daniela Setton von der Nichtregierungsorganisation WEED ist überzeugt, dass der Damm sehr wichtig für den Deal ist: „Mit vollen Auftragsbüchern lässt sich die VA-Tech Hydro besser verkaufen.“ Das Bauvolumen beträgt rund 1,5 bis 2 Milliarden Dollar. Die VA-Tech Hydro habe ihren Kunden versichert, dass die Geschäfte „wie bisher“ weiterlaufen.

Die jahrelangen internationalen Proteste schienen zunächst Erfolg zu haben: 2002 zogen sich alle Firmen aus dem Projekt zurück. Nur die VA-Tech hielt an dem Staudamm fest und gründete ein neues Baukonsortium, zu dem auch die deutsche Züblin AG gehört. Der Baubeginn ist nun für Oktober geplant, wie türkische Behörden mitteilten.

Ilisu ist ein Teil des 32 Milliarden Dollar teuren Südostanatolien-Projektes GAP (Güney Anadolu Projesi). Insgesamt besteht es aus 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken. Die Pläne gehen auf die 50er-Jahre zurück, Baubeginn war 1977. Bislang wurden sechs Staudämme errichtet. Mit verheerenden Konsequenzen: In den Nachbarstaaten Syrien und Irak wird das Wasser knapp, die Böden versalzen, durch die Mücken auf den künstlichen Seen breiten sich Tropenkrankheiten aus. Hunderttausende der Bewohner wurden vertrieben, oft ohne entsprechende Entschädigung. Selbst die Weltbank sah ihre Standards nicht mehr gewährleistet und stieg 1984 aus dem Projekt aus.

Nun sollen weitere 78.000 Menschen umgesiedelt und 7 Millionen Hektar fruchtbares Ackerland überflutet werden. Versinken würde auch die 12.000 Jahre alte Stadt Hasankeyf. Die Vertriebenen seien oft „schwer traumatisiert“, berichtet Handan Coskun vom Projekt Dikasum in Diyarbakir, das zwangsumgesiedelte Frauen betreut: „Die Selbstmordrate war zeitweise extrem hoch.“

Die türkische Regierung hat angekündigt, den Staudamm nur zu genehmigen, wenn verbesserte Umwelt- und Umsiedlungspläne vorliegen. Inzwischen wurde eine Firma aus Ankara beauftragt, die Bewohner zu befragen. Ercan Ayboga von der kritischen Ilisu-Plattform hält diese Umfragen für „Augenwischerei“, denn „die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt“. Die Bewohner dürften sich nicht zu dem Staudammprojekt selbst äußern, stattdessen würden sie etwa nach Essensvorlieben gefragt. „Außerdem sind die Umsiedlungspläne immer noch nicht veröffentlicht, obwohl der Bau im Oktober beginnen soll.“

Für VA-Tech Hydro interessiert sich auch der österreichische Industrielle Mirko Kovats – auch bekannt als „Mister Top Deal“. Seine Firma nimmt keine Stellung zu dem Damm: „Wir haben lediglich prinzipielles Interesse am Kauf.“ Auch Siemens erklärt: „Ilisu hat keinen wesentlichen Einfluss auf den Verkaufspreis der VA-Tech Hydro.“

WEED hingegen hält es für „äußerst unwahrscheinlich“, dass ein Großauftrag wie Ilisu unbedeutend sein soll für eine Verkaufsentscheidung. Zumal nicht ausgeschlossen ist, dass die Bundesregierung den Bau mit einer Hermes-Bürgschaft absichert. „Ein Antrag auf Deckung des Projektes durch die Exportkreditversicherungen der beteiligten Länder ist beabsichtigt“, bestätigt Ulrich Weinmann, Geschäftsführer der Züblin International GmbH.

Die ökologischen und sozialen Probleme dürften die Bundesregierung nicht abhalten, sich beim Ilisu-Staudamm zu engagieren. Das International Rivers Network kritisiert: „Deutschland und Österreich sind in der OECD die einzigen europäischen Länder, die verschärfte Standards für Staudämme blockieren.“