: Die Poesie der Hände
ÜBERSETZUNGSVERHÄLTNISSE Manchmal muss man einfach nur seinen Augen trauen, anderswo helfen die Untertitel. In einer Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien wird aktuell die Kunst von Gehörlosen präsentiert
VON FERDERICO SÁNCHEZ
„Noch sind die Löcher warm. Haare im Mund. Kuss auf die Scham“, skandiert eine Stimme zu inquisitorischem Trommeln und drohgebärdlichem Quieken. Das alles gleich von zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen simultan in die Deutsche Gebärdensprache (DGS) übersetzt. Zu sehen ist es in einem Video im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien in der frisch eröffneten Ausstellung „Gebärde Zeichen Kunst“ mit Arbeiten von gehörlosen und hörenden Künstlern. Womit auch die gängigen Vorstellungen von Kommunikation zerpflückt werden.
Aufs Parkett tritt hier die doch unerhört beflissene Sprachkultur der Tauben, die die Bezeichnung Taubstumme grundsätzlich ablehnen. Kurator der Ausstellung ist Wolfgang Müller, Grenzgänger, Missverständniswissenschaftler. Und Künstler. Am Ende der eingangs zitierten Szene sieht man ihn in einem Dokument aus dem Jahr 1998 an einem Tonband sitzen und das „Gehörlosenkonzert“ seiner damaligen Performanceband Die Tödliche Doris im Prater der Volksbühne dirigieren.
Damals war Müller vorgeworfen worden, auf Kosten der Gehörlosen einen unwürdigen Schabernack zu veranstalten. Heute gibt er den Vorwurf an den Videokünstler und umstrittenen Berlin-Biennale-Kurator Artur Zmijewski weiter, der einmal einen gehörlosen Chor castete, um Beethoven-Gesänge zu reproduzieren. „Das ist dann Exotismus. Auch wenn es den beteiligten Gehörlosen gefallen haben sollte – nicht zuletzt vielleicht, weil es für Gehörlose fast unmöglich ist, Jobs zu bekommen.“ Und wer Wolfgang Müller kennt, weiß, dass seine Beschäftigung mit dem Thema mit der „Gebärde Zeichen Kunst“-Ausstellung nicht willkürlich ansetzt.
Seit seiner Begegnung mit dem Berliner Gebärdenpoeten Gunter Trube im Jahr 1980 ist Müller darum bemüht, den Kontakt zu Gehörlosen zu vertiefen und, sooft es geht, hinter ihre Glasscheibe zu treten. Von dem 2008 verstorbenen Gunter Trube waren viele Zeitgenossen fasziniert. Auch seine Kunst, Gedichte in DGS zu performen, ist in der Ausstellung im Bethanien dokumentiert.
„Aber warum sollten Gehörlose die hörende Mehrheitskultur reproduzieren, wo sie längst eine eigene Kultur haben?“, fragt sich Wolfgang Müller. Die Eigenständigkeit ihrer Sprache aufzuzeigen, sei ein Anliegen der bislang weltweit ersten Kunstausstellung in dieser Sache. Und Mitkuratorin An Paenhuysen betont daneben das Abtasten der Grenzen und Möglichkeiten einer Übersetzung.
Die landessprachliche Vielfalt, die sich auch in der Welt der Gehörlosen auftut, folgt einem anderen sprachlichen Denken. Einem, das seine Herleitungen und Grammatiken auf eine rein visuelle Logik baut. Versucht man den Transfer, fühlt sich das mitunter wie der Zutritt in eine unbekannte Dimension an. Und wenn man meint, in einem Sprachraum angelangt zu sein, sieht man den Blick wieder von der anderen Seite gespiegelt und erfährt eine Umkehrung. So finden sich der hörende wie der taube Besucher in einem Prinzip der permanenten Übersetzung wieder.
„Open your eyes, open your mind. This is our life, unheard and as you’ve never seen“, deklamiert der gehörlose finnische Rapper Signmark. Gehörlosenrap? Tatsächlich: Signmark hört selbst nichts von den Beats, zu denen er seine Texte in Gebärdensprache performt. Derjenige aber, der die Texte stimmlich intoniert, bleibt wiederum in dem Videoclip unsichtbar. Eine Volte für die Hörenden. Normalerweise ist es ja andersherum.
Die Mehrheitskultur ist nicht darin geübt, die Tauben überhaupt einmal wahrzunehmen. Andernfalls wäre es im Alltag der Gehörlosen nicht so schwierig, Dolmetscher zu finden. In der Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg ist das Bindeglied zwischen den Sprachen die Untertitelung der Videoprojektionen.
Für beide Seiten unlesbar gerät dabei die Arbeit „The Love I Man“ des chinesischen Künstlers Ming Wong. Dafür musste er, der Hörende, ein Stück von Pina Bausch rückwärts einstudieren – sowohl in Gebärdensprache als auch den dazugehörigen Gesang. Im Ergebnis ist das eine faszinierende Reflexion über ritualisierte Mechanismen von Sprache.
Christine Sun Kim wiederum arbeitet speziell mit Sounds. Die gehörlose Künstlerin versteht sich auf das, was LSD bewirken kann – akustische Signale sichtbar zu machen. Und mit ihrer Frage, ob der Klang eigentlich nur den Hörenden gehöre, bringt die New Yorkerin auch einen durchaus neuen Blickwinkel in die aktuelle Urheberrechtsdebatte ein.
Man darf sich freuen bei „Gebärde Zeichen Kunst“ – über die poetische Vielschichtigkeit der Verknüpfungen und darüber, dass mit einer Hymne auf den Subjektivismus von Wolfgang Müller mit dieser Ausstellung nun die Tür für eine Begegnung zwischen gehörlosen und hörenden Realitäten aufgestoßen wird. Produktive Missverständnisse inklusive.
Am Ende hat man erst zu hören und zu sehen begonnen.
■ Kunstraum Kreuzberg/Bethanien: „Gebärde Zeichen Kunst“, tgl. 12–19 Uhr, bis 13. 1. 2013.
Am 18. 11 und 16. 12. um 14 Uhr Führungen mit DGS-Dolmetschung