: Bildbandtorte
FOTOSCHULE II Gleichgültig welches Museum oder welche Sammlung zeitgenössischer Kunst man besucht – Düsseldorfer Fotokünstler stehen hoch im Kurs. Jetzt ist ein Buch zur Erfolgsgeschichte von Bernd und Hilla Becher und ihren zahlreichen Schülern erschienen
VON STEFFEN SIEGEL
Es ist wie beim Märchen von Hase und Igel. Ob in Venedig oder New York, in Paris oder München: Betritt man eine Sammlung zeitgenössischer Kunst, die etwas auf sich hält, dann kann man sicher sein, dass die Düsseldorfer bereits da sind. Wenn die Fotografie in den zurückliegenden zwanzig Jahren einen spektakulären Aufstieg innerhalb des Kunstsystems erlebte, dann waren Bernd und Hilla Becher und mit ihnen eine ganze Phalanx von Schülern aus der Düsseldorfer Kunstakademie hieran alles andere als unschuldig. Längst ist die nüchterne Bildsprache, mit denen die Bechers über Jahrzehnte Kühltürme und Fachwerkhäuser, Hochöfen und Getreidespeicher fotografisch vermessen haben, ein Markenzeichen für visuelle Klarheit und konzeptuelle Brillanz. Und spätestens mit der Generation von Thomas Struth oder Andreas Gursky sind es nicht allein die äußeren Bildmaße der Fotografien, die das ganz große Format erreicht haben. Galerien und Museen, die ihren Axel Hütte oder ihren Jörg Sasse tatsächlich noch nicht erworben haben sollten, werden inzwischen tief in die Tasche greifen müssen.
Fast scheint es so, als könne die Kunstgeschichte mit dem Tempo dieser rasanten Erfolgsgeschichte kaum noch mithalten. Denn so unüberschaubar inzwischen die nach Regalmetern zu messende Zahl von Katalogen zu den einzelnen Fotografen ist, der Versuch, dem Phänomen „Düsseldorf“ als einem Ganzen auf den Zahn zu fühlen, ist bislang nur sehr zögerlich unternommen worden. Seit vergangenem Jahr kann man zu dem opulenten, überaus klug konzipierten Pariser Ausstellungskatalog „Objectivités“ greifen. Und seit diesem Herbst nun zu einem Buch, von dem man eigentlich meinte, dass es doch längst erschienen sein müsste. Der Münchner Verlag Schirmer/Mosel, der eine Vielzahl der Düsseldorfer als Hausverlag seit Jahren publizistisch begleitet, feiert seinen 35. Geburtstag. Und der zu dieser Gelegenheit vom Verleger Lothar Schirmer höchstpersönlich herausgegebene Band nimmt sich wie eine selbst gebackene Geburtstagstorte aus, die zuweilen etwas zu zuckrig geraten ist.
Das ganz große Format
Man weiß gar nicht so recht, ob es wirklich ein Kompliment ist, von den „Struffskys“ zu sprechen. Doch wer Ordnung im unübersichtlichen Gelände zeitgenössischer Kunst schaffen will, greift zu Hilfsbegriffen. Und die Rede von der „Düsseldorfer Schule“ oder von der „Becher-Klasse“, da wird man kaum streiten müssen, ist nicht sehr viel mehr als eine kunsthistorische Bequemlichkeit. Schirmers Band, der neben den „Typologien“ von Bernd und Hilla Becher zehn Positionen verschiedener Schüler vorstellt, zeigt dies überdeutlich. Gewiss: Alle diese Arbeiten durchzieht ein roter Faden aus formaler Strenge und handwerklicher Präzision, für den die Becher-Schüler berühmt geworden sind. Thomas Ruffs verfremdende Aneignung der im Internet zirkulierenden Pornografie ist aber eben doch meilenweit von Candida Höfers stoischen Bibliotheksveduten entfernt, und das Bild gewordene Pathos von Andreas Gursky fremdelt doch auffallend mit Simone Niewegs fotografischer Obsession für Fallobst und Kohlköpfe. Konsequenterweise stellt der Band deshalb jede fotografische Position in einem eigenen Portfolio vor und überlässt alle darüber hinaus reichenden Einordnungen einem einleitenden Kommentar des Bonner Kunsthistorikers Stefan Gronert.
Leider sind gerade diese Hinweise an den entscheidenden Stellen zu knapp geraten. Wie entscheidend die Wahl des ganz großen Bildformats für die Durchsetzung der Fotografie als wandförmiger Kunst gewesen ist, wird in einem Exkurs nicht mehr als angerissen. Und vor allem hätte man sehr gern viel mehr gewusst über jene Becher-Schüler, die dem Kunstbetrieb den Rücken gekehrt haben. Denn schon die zwei skizzenhaften Miniaturen über Tata Ronkholz und Volker Döhne, die beide ihren Weg als Fotokünstler frühzeitig abgebrochen haben, geben deutlich genug zu erkennen, wie einseitig und zuletzt vor allem wie unzutreffend es ist, immer wieder das Lied von der Düsseldorfer Erfolgsgeschichte zu singen. Der Weg der Fotografie zur ästhetischen Marktführerin unserer Tage war steiniger, als die triumphalen Werkschauen der heute bald sechzigjährigen Stars im Metropolitan Museum oder in der Berliner Nationalgalerie erkennen lassen wollen.
Kanon statt Kritik
Tatsächlich mag mit Bernd Bechers überraschendem Tod vor zwei Jahren der Augenblick gekommen sein, ein Resümee zu versuchen über mehr als drei Jahrzehnte Düsseldorfer Fotografie. Mit Schirmers glanzvollem Katalog wird jedoch vor allem ein Kanon zeitgenössischer Fotografie im Buchformat fortgeschrieben, der in den Museumssälen längst Wirklichkeit geworden ist. Eine kritische Revision des Phänomens „Düsseldorf“ steht unverändert aus.
■ Stefan Gronert: „Die Düsseldorfer Photoschule. Photographie 1961–2008“. Schirmer/Mosel, München 2009. 320 Seiten, 332 Abbildungen, davon 163 ganzseitige Farbtafeln, 68 €