: Aktiv zuhören ist fast wie Tanzen
MUSIK Auftritte im Zirkuszelt, im holzgetäfelten Witthüs oder im Baltic Festsaal – wie die Bands die Komfortorientierung des Festivals erlebten
Immer wieder schön, wie sich der LSD-Kindergeburtstag von der Bühne aus entlädt und im Publikum die Herzen aufgehen. Konfettiregen im großen Stil, Papier-Bänder, die zu Boden flattern, große bunte Luftballons, die vom Publikum angestupst werden und alle verbinden. Dann eine Kugel aus durchsichtigem Plastik mit vielleicht zwei Metern Durchmesser. In der Kugel ist Wayne Coyne, der Sänger der Flaming Lips, und lässt sich vom Publikum des Rolling Stone Weekenders tragen. Komisch, wie er versucht, aufrecht zu stehen, es aber nicht hinkriegt. Tolles Bild. Der Frontmann als Witzfigur und Gefangener seiner eigenen Blase, die eine Traumblase ist. Kurz davor, zu platzen.
Die Show ist nicht neu, im Gegenteil, sogar Coynes grauer Anzug ist laut Augenzeugenberichten derselbe wie beim Haldern Pop Festival im August 2008. Auch die Musik ist wie gehabt hymnisch, Soundschichten legen sich übereinander, krautig und dröhnend. „Obwohl ihr in Hotelzimmern übernachtet, müsst ihr euch verhalten, als wäre das hier ein Mega-Festival und ihr seid in der ersten Reihe“ sagt Coyne.
Mag sein, dass ihm zu viele Mitwipper und zu wenige Abtänzer im Publikum sind. Aber das Gleiche könnte ihm in Berlin, München, Hamburg auch passieren. Die Hauptbühne des Festivals ist in einem eigens aufgebauten Zirkuszelt untergebracht. Atmosphärisch unterscheidet sich hier nichts von den Orten, an denen die Flaming Lips sonst spielen. Von der Atmosphäre her eher schwierig sind die anderen beiden Bühnen, die in der Ferienparkanlage Weissenhäuser Strand untergebracht sind. Der Baltic Festsaal zum Beispiel: niedrige Decke, am Boden Fliesen mit Marmormuster und Teppich wie im Multiplex-Kino. Ein Raum für Tagungen oder Familienfeiern.
Allerdings gibt es junge Bands wie Cymbals Eat Guitars, denen das egal ist. Die Musik ist gitarrenlastig, rotzig mit romantischen Tupfern, linear aufgebaut, als müssten die Cymbals Eat Guitars einen Weg von A nach B zurücklegen. Gemacht wird diese Musik von vier motivierten New Yorkern, die Schnauzbärte hip finden. Im Publikum wird aktiv zugehört. Das ist dann fast so wie Tanzen.
Nebenan, im Witthüs, ist die Decke holzgetäfelt, die Wände sind es auch. Vorne steht Brett Dennen aus San Francisco, barfuß, mit einer Damenfrisur aus den 1960ern und folkigen Popsongs. Das Publikum sitzt direkt vor ihm, eine wirkliche Bühne gibt es nicht. Es fühlt sich an wie früher auf einer WG-Party. Nur, dass da die Musik nicht so gut war.
Zurück im Zirkuszelt mit der Hauptbühne erzählt der Brite Billy Bragg Geschichten über Woody Guthrie und geißelt den Kapitalismus. Der Vortrag wird zu einer Predigt über den Glauben an eine bessere Welt. Dabei trinkt Bragg Tee und wirft am Ende den Teebeutel ins Publikum. Auch da gehen die Herzen auf, wie bei den Flaming Lips.
Die Show von Wilco im Anschluss wirkt vergleichsweise unpersönlich. Sechs Leute auf der Bühne, viel Oldschool-Technik, aufwändig instrumentierte Songs und sanft groovende Musiker mit Hang zum Bartwuchs. So muss es bei Supertramp in den Siebzigern auch gewesen sein. KLI