: „Schwere seelische Abartigkeit“
Im Stalking-Prozess gegen Michael M. weisen psychologische Gutachten auf seine eingeschränkte Schuldfähigkeit hin
Bremen taz ■ Michael M. war möglicherweise nur eingeschränkt schuldfähig, als er seine Noch-Ehefrau Corinna im März erstach. Zwei psychologische Sachverständige bescheinigten dem als Stalker verurteilten Mann gestern vor dem Landgericht eine „schwere seelische Abartigkeit“. Von einer völligen Steuerungsunfähigkeit zum Tatzeitpunkt sei jedoch nicht auszugehen, sagen die beiden Gutachter. Auch eine Affekttat scheide aus, so das einhellige Ergebnis.
Der Angeklagte leide nicht unter einer schweren psychotischen Störung, sagte die ärztliche Direktorin des Zentrums für Forensische Psychiatrie in Lippstadt, Nahlah Saimeh. Auch der zweite Gutachter, der Psychologe Guido Gebauer, kam zu diesem Ergebnis. Weder für eine Psychose noch für eine Schizophrenie oder wahnhaftes Verhalten gebe es Anzeichen, auch die Intelligenz des 41-Jährigen sei durchschnittlich ausgeprägt. „Er ist nicht psychisch krank und insofern ein ganz normaler Bürger“, so Saimeh. Jedoch diagnostizierte sie bei dem Angeklagten eine „schwere Anpassungsstörung“, die mit einer „quasi-autistischen“ Interpretation der Wirklichkeit einhergehe. M. leide unter einer schweren seelischen Störung, die ähnlich wie eine Psychose zu bewerten sei. Insofern könne eine verminderte Schuldfähigkeit „nicht ausgeschlossen“ werden.
Saimeh bescheinigte dem Angeklagten eine narzisstische Persönlichkeit sowie starke psychische Abhängigkeit von seiner Frau Corinna. „Sie war seine lebensnotwendige Kraftquelle“, sagte Saimeh. Das Ende der Beziehung habe er deshalb als „existenziell bedrohlich empfunden“ – und seine Verlustängste in eine ständige Bedrohung seiner Ehefrau umgesetzt.
M. selbst empfindet es als „hochgradig unangemessen“, als Stalker behandelt zu werden. Das sei eine „Kränkung“, so der Angeklagte. Auch bestritt er jede Absicht, die Tat geplant zu haben. Psychologe Gebauer sieht das anders: M. habe „erheblicheVorbereitungen“ getroffen, bevor er seine Frau an ihrem Arbeitsplatz abpasste. mnz