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Archiv-Artikel

Mehr Stress für Häftlinge

GEFÄNGNIS-PRAXIS Justizsenator nähert die Realität des Strafvollzugs den gesetzlichen Zielen an

Von BES

Es hat keinen Aufschrei gegeben, keine politische Kontroverse und selbst der Boulevard hat sich nicht empört: Während die Haftanstalt umgebaut wird, hat die Verwaltung auch mit ihrer Reorganisation begonnen. Der offene Vollzug soll um ein gutes Drittel ausgeweitet werden.

Zur Zeit profitierten rund zehn Prozent der Gefangenen von dieser Option. Sie ermöglicht ihnen ein den Bedingungen in Freiheit weitgehend entsprechendes Leben – allerdings mit der Auflage, den Alltag klar und selbstständig zu strukturieren. Vielfach wird das von Häftlingen als Stress empfunden.

Als Zielzahl gibt das Justizressort bis zu 90 Häftlinge an. Erreicht werden soll die im Wesentlichen dadurch, dass künftig Gefangene mit einer Gesamtstrafe von bis vier Jahren „direkt in den offenen Vollzug aufgenommen werden“, heißt es im vom Rechtsausschuss gebilligten Bericht des Senators. Damit wird die Praxis dem seit Ende der 1970er Jahre geltenden Recht angenähert: „Ein Gefangener soll“, heißt es im Strafvollzugsgesetz, „in einer Anstalt des offenen Vollzugs untergebracht werden“. Allerdings haben sich die Ausnahmen, die vom Gesetz selbst und in daran anschließenden Verwaltungsvorschriften definiert werden, überall als die Regel erwiesen: Dazu zählen beispielsweise Drogensucht, Fluchtgefahr und anhängige Strafverfahren. Selbst in Nordrhein-Westfalen und Berlin, den Spitzenreitern im Ländervergleich, befindet sich nicht einmal ein Viertel der Häftlinge im offenen Vollzug. Auch mit der neuen Allgemeinverfügung des Justizsenators „sind wir weit davon entfernt, den offenen zum Regelvollzug zu machen“, so Sprecherin Marion Weinandy.

Ausgerechnet der Jugendvollzug ist am weitesten davon entfernt: Die Quote liegt bei 0 Prozent, ein Insasse immerhin soll demnächst in den offenen Vollzug wechseln. Als einen Grund nennt das Ressort die Bremer Spruchpraxis: Jugendstrafe ohne Bewährung wird in Bremen seltener verhängt als etwa in Bayern. Zudem bestehen erhebliche Zweifel, dass es den Betroffenen gelingt, ihren Tagesablauf selbstständig zu strukturieren, nicht zuletzt, weil die meisten von ihnen als akut suchtgefährdet gelten. Allerdings sind von den derzeit 40 Jugendhäftlingen elf Freigänger, dürfen also beispielsweise den Unterricht besuchen, wenn sie pünktlich in die Zellen zurückkehren. BES