: „Ich entschuldige mich oft für Stromberg“
INTERVIEW Ausgerechnet ein Ekel machte Schauspieler Christoph Maria Herbst populär: Ein Gespräch über Sojamilch im Kaffee, seine Banklehre, Dinslaken, seinen Vater und die Zukunft von „Stromberg“ (Di., 22.15 Uhr, ProSieben)
■ Anfänge: Geboren am 9. Februar 1966 in Wuppertal, Messdiener, Abitur, Theaterprojekte
■ Intermezzo: Banklehre (seinen Eltern zuliebe)
■ Theater: Engagements in Dinslaken und Bremerhaven, seit 2005 mit „Männerhort“ auf der Bühne, letztmalig bis 29. November in Berlin, 2009 Auftritt in „Das Leben des Siegfried“ bei den Nibelungenfestspielen in Worms
■ TV: Populär geworden durch „Ladykracher“ (2001–2003) und „Stromberg“ (seit 2004). Die vierte Staffel der Tragicomedy läuft seit 3. November bei ProSieben
■ Ehrungen: Ein Grimme-Preis (2006), drei Deutsche Comedypreise (2005, 2006, 2007)
Interview David Denk
taz: Herr Herbst, Sie trinken Kaffee mit Sojamilch, weil Sie „mit zunehmendem Alter“ tierisches Fett auf der Zunge immer weniger mögen. Sie sind 43. Müssen wir uns Sorgen machen?
Christoph Maria Herbst: Wenn Sie jetzt darauf abzielen, dass der feine Herr Herbst auf eine Midlife-Crisis zusteuert – das glaube ich nicht. Aber das mit der Milch ist doch auch ein Politikum: wie mit den Bauern umgegangen wird, dieser Ausbeutungswucher, dieser Milchwahn, das will ich durch mein Konsumverhalten nicht unbedingt forcieren.
Sie wollen mir jetzt nicht erzählen, dass Sie deswegen auf Kuhmilch verzichten?
Nein, ich erzähle das nur, weil mir ein Journalist der taz gegenübersitzt. Ich dachte, das käme vielleicht gut an.
Netter Versuch. Wenn Sie nicht auf die Midlife-Crisis zusteuern, warum erwähnen Sie dann in beinahe jedem Interview ungefragt Ihr Alter. Fühlen Sie sich damit nicht im Reinen?
Doch, total. Mein Alter fühlt sich eher mit mir nicht so im Reinen. Denn ich glaube, mein Alter erwartet von mir, dass ich mich anders fühlen müsste. Anderen 43-Jährigen sehe ich ihr Alter oft an oder entnehme es ihren Sätzen. An meinem Lebensgefühl, meiner inneren Haltung, hat sich in den letzten 15 Jahren dagegen nicht viel geändert, und das empfinde ich als äußerst angenehm. Wenn ich mir Fotos von meinem mittlerweile 87-jährigen Papa angucke, auf denen der 43 ist – zwischen uns liegen Welten! Der sieht darauf mindestens aus wie Ende 40. Und ich will weiß Gott kein Berufsjugendlicher mit Eastpakrucksack sein.
Glauben Sie, dass Ihr Vater versteht, was Sie machen und wie Sie leben?
Nicht wirklich. Mein Vater ist Beamter gewesen, jeden Morgen halb sieben aufstehen, acht Uhr am Schreibtisch sitzen, um 17 Uhr den Stift fallen lassen. Das ist ein komplett anderer Lebensentwurf. Erst neulich musste ich mit meinem Papa darüber diskutieren, ob es okay ist, zur Belohnung für ein fleißiges Jahr im Dezember in den Urlaub zu fahren und im Januar gleich nochmal. „Willst du nicht auch mal wieder arbeiten zwischendurch?“, hat er gefragt, letztlich aber doch verständig reagiert, was ich ihm hoch anrechne, weil ich andere Menschen in seinem Alter kenne, die der Altersstarrsinn fest im Griff hat. Ich glaube übrigens zutiefst, dass ich zu gewissen Anteilen das nicht gelebte Leben meines Vaters führe, der auch ein großes künstlerisches Potenzial in sich trägt, in seinem hohen Alter etwa immer noch Gitarrenunterricht gibt. Im Gegensatz zu mir hatte er aber niemals die Möglichkeit, das zu kultivieren oder zu professionalisieren. Das ist traurig, es ist für mich aber keine Bürde, das jetzt für ihn nachzuholen.
Gucken Ihre Eltern denn „Stromberg“?
Ja, die sind inzwischen meine größten Fans. Dabei können sie mit „Stromberg“ – auch wenn sie das niemals zugeben würden – nicht das Geringste anfangen, davon bin ich fest überzeugt. Sie sind ja auch nicht die Zielgruppe. Mein Vater – lustig, dass wir so lange über meinen Vater reden, aber egal, er wird‘s aushalten – hat sich mal richtig darüber ereifert, dass er gar nicht verstehen könne, warum alle in Stromberg immer nur den Arsch sehen, der sei doch nett, lächle immer so lieb. Seine Wahrnehmung ist da äußerst selektiv, weil man auf den Jungen ja auch nichts kommen lassen will. Das ist ja auch zauberhaft von meinen Eltern. Es freut sie sehr, dass ihr Jüngster seinen Weg gemacht hat, dass aus der brotlosen Kunst für mich tatsächlich ein Brotberuf wurde, und ich, wenn ich bei der Deutschen Bank geblieben wäre, vielleicht längst meinen Job verloren hätte oder zum realen Stromberg mutiert wäre, zu so einer verspießerten Schweinebacke.
Ihre Karriere begann am Landestheater Burghofbühne in Dinslaken – woraus Sie nie einen Hehl gemacht haben.
Warum sollte ich auch? Das gehört zu mir. Ich weiß, dass viele, auch weitaus prominentere Kollegen ein Problem damit haben, dass ihre Karriere nicht am Wiener Burgtheater begonnen hat. Ich säße aber jetzt nicht als derjenige vor Ihnen, als der ich von Ihnen sitze, wenn ich das nicht erlebt und teilweise auch durchlitten hätte. Davon bin ich fest überzeugt, und das ist jetzt kein Schönreden der Vergangenheit. Ich gehöre aber auch nicht zu den Heuchlern, die sagen würden: Das war die beste Zeit meines Lebens! Die zwei Jahre Dinslaken – mein Gott, wie gern hab ich 300 Mal „Pippi Langstrumpf“ gespielt und „Das Dschungelbuch“ in zwei Inszenierungen, einmal als Oberst Hathi und einmal als King Louie. Hach, würde Dinslaken mich doch anrufen! Ich würde sofort wieder hingehen. So weit geht es natürlich nicht, aber ich bin vom Naturell her ein Rosinenpicker. Ich habe selbst in schweren Zeiten die Gabe, doch noch die eine oder andere Rosine zu finden, sei sie auch noch so klein, die mir dann die Zeit versüßt. So auch in Dinslaken. Ich hatte wunderbare Kollegen, zu denen ich teilweise heute noch Kontakt habe.
Wirklich?
Es sind allerdings weniger die Schauspieler als vielmehr die Kollegen im Regie- oder Bühnenbildbereich.
Warum keine Schauspieler? Spielt da Neid eine Rolle?
Vielleicht. Ich habe zwar durchaus auch noch losen Kontakt zu Schauspielkollegen aus der Zeit. Ich musste allerdings im Umgang mit einigen Freunden, die auch in diesem Beruf arbeiten, die Erfahrung machen, dass mein Erfolg zwischen uns steht. Ich muss akzeptieren, wenn ein Kontakt zu mir nicht zwingend gesucht wird. Oder, wenn doch, oftmals mit der unformulierten Bitte: Du könntest doch mal was für mich tun.
Und: Können Sie?
Ja, habe ich auch schon – und mir dabei teilweise richtige Eier gelegt. Deswegen gucke ich mittlerweile doppelt und dreifach hin, wenn ich mich für einen Kollegen verwende, Empfehlungen ausspreche. Was ich aber nach wie vor total gern mache, ist, mal einen Kontakt herzustellen, die Tür einen Spalt zu öffnen. Durchgehen müssen sie schon selbst.
Ist es eigentlich Ihr Ernst, dass Sie sich vorstellen könnten, ans Theater zurückzugehen?
Total. Ich arbeite darauf zwar nicht aktiv hin, aber es wäre eine Option. Ich bin ein Ensemblemensch, liebe das Theater über alles. Es ist meine künstlerische Heimat. Ich wäre gern mal dabei, wenn etwas ganz Neues, Wunderbares, Inspiriertes und Kreatives entsteht, wie etwa unter Leander Haußmann damals in Bochum, umgeben von Kollegen, denen man vertraut und die man respektiert. Ich habe wahnsinnig gern Leute um mich, zu denen ich aufschauen kann.
Kollegen wie Bjarne Mädel, der in „Stromberg“ den Abteilungsdödel Ernie spielt?
Ja, vor Bjarne habe ich einen Mordsrespekt, finde ihn grenzgenial – erst recht, seitdem ich ihn auf der Bühne gesehen habe. Wenn man ihn nur als Ernie kennt, glaubt man ja gar nicht, was der für ein Theatertier ist. Außerdem kann man mit ihm beim Spielen Verabredungen treffen, die er dann auch einhält. Bjarne ist einfach ein toller Kollege. Das kann ich aber über fast jeden anderen „Stromberg“-Kollegen auch sagen.
Das Verhältnis der Figuren zueinander färbt also nicht auf Ihren privaten Umgang mit Bjarne Mädel ab?
Nein, das ist eher bei Frauen ein Problem, wenn dieses Misogyne beim Stromberg rausbricht. Das ist mir sehr unangenehm, vor allem, wenn es Kolleginnen sind, die nicht fest zum Ensemble gehören.
Meinten Sie das damit, als Sie mal sagten, die Figur koste Sie „einiges an Nerven“?
Ja, unter anderem. Es fängt aber schon damit an, dass ich keine Vollmaske trage, die man sich abends vom Kopf reißen kann und schon ist man wieder der Alte. Ich laufe drei Monate lang mit dieser Fratze rum und halte mich monomanisch in dieser Strombergschen Energie auf. Das ist die größte Bürde beim Stromberg: Wenn ich drehe, bin ich komplett asozial. In der Zeit finde ich keine neuen Freunde – und wenn doch, sind es die falschen.
Wie gehen Sie damit um?
Indem ich abends auch schon mal ein Glas Rotwein mehr trinke etwa. Ich habe einen Kollegen, der nach zwei Jahren aus einer Ärzteserie ausgestiegen ist, weil er es nicht mehr ertragen konnte, dass da ständig Leute – fiktiv wohlgemerkt – aufgeschnitten wurden. Natürlich wurde da mit Special Effects und Kunstblut gearbeitet – aber wenn du in die Situation völlig einsteigst, was ja unsere Aufgabe als Schauspieler ist, fühlt sie sich eben echt an. So ist es auch beim Stromberg: Ich will die Figur nicht vorführen, sondern sie sein, ihren wahrhaftigen Kern zumindest mal berühren. Und wenn es die Situation erfordert, bin ich zu den Kollegen eben scheiße – und das ziemlich glaubwürdig.
Hatten Sie schon mal das Bedürfnis, sich für die Figur zu entschuldigen?
Ja, schon oft – was von den Kollegen aber immer wieder mit den gleichen Worten pariert wird: „Ey, ich bitte dich, ich habe das Buch auch gelesen.“
Wie lange wird Bernd Stromberg sein Unwesen noch treiben?
Die neue Staffel und der dramaturgische Schachzug von Chefautor Ralf Husmann, Stromberg in die Pampa zu verbannen, zeigt ja, dass mit der Figur noch eine Menge möglich ist. Ob das unbedingt nötig ist, ist eine andere Frage. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass es mich wundert, dass die vierte Staffel überhaupt zustande gekommen ist. Das hängt aber auch mit meiner eigenen Fantasielosigkeit zusammen.
Haben Sie mit Stromberg abgeschlossen?
So geil die Figur auch ist und so viel ich ihr zu verdanken habe – ich werde trotzdem nicht müde zu sagen, der Stromberg, das bin nicht ich, das ist eine Rolle von vielen. Auf Dauer reicht er mir nicht. Ich will nicht mit ihm sterben und alt werden auch nicht. Und das sage ich mit einer Träne im Knopfloch.