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Archiv-Artikel

Populäre Schurkereien aus Wasilla

COMEBACKS Sie sollte Obama verhindern. Als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft zog Sarah Palin einst in den Wahlkampf. Dann begann der Abstieg. Nächste Woche stellt sie ihre Memoiren vor. Kehrt sie zurück?

„Reagan ist der Verstand der Konservativen, Palin das Herz“

PALIN-ANHÄNGERIN ADRIENNE ROSS

VON HENRIETTE LÖWISCH

Leute zwischen zwei Jobs finden leichter Zeit für Freunde. So ist das bei Sarah Palin: Sie hat 975.305 davon, die meisten im Hinterland der Vereinigten Staaten. Sie waren monatelang auf Facebook angewiesen, um über ihre Freundin oben in Alaska auf dem Laufenden zu bleiben. Doch jetzt kommt Palin selbst zu Besuch: Am Mittwoch beginnt eine Buchtour, in der sie ihre Memoiren vorstellt. „Diesmal wird sie selbst erzählen, wie alles war“, sagt Adrienne Ross, eine ihrer Fans.

Sarah Palin, das ist die Frau aus Wasilla/Alaska, die vor gut einem Jahr von den Republikanern ausersehen wurde, die Wahl des Demokraten Barack Obama zum Präsidenten zu stoppen. Als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft scheiterte sie grandios, erst in verpatzten Interviews, dann in den Wahllokalen. Von Ermittlungen wegen Machtmissbrauchs geplagt, trat sie schließlich als Gouverneurin von Alaska zurück. Doch das war der falsche Moment, sie abzuschreiben. Die 45-Jährige macht sich daran, Sprachrohr der Rechten in den USA und womöglich nächste Präsidentschaftskandidatin der Republikaner zu werden.

Um das Phänomen Sarah Palin zu verstehen, könnte es helfen, Adrienne Ross zu fragen. Ross, schwarz, 39, Englischlehrerin, kommt aus Hudson, einer Kleinstadt gut 200 Kilometer nördlich von New York. Sie gehört zu den Menschen, die bis vor einem Jahr von Politikern nichts wissen wollten. Sie ist bibeltreu und wählt ihre Worte mit Umsicht. „Wer die Nachtigall stört“ ist ihr Lieblingsbuch.

Ross hält nichts von staatlichen Sicherungssystemen, ob bei der Krankenkasse oder der Rettung von Großbanken. Für Obama wollte sie keinesfalls stimmen, und auch seinen direkten Rivalen John McCain mochte sie nicht. Auf der Suche nach einer Identifikationsfigur war Sarah Palin für sie die Antwort. „Sie hat mir sofort Respekt eingeflößt“, sagt Ross, und sie klingt dabei etwas trotzig. „Ich wusste gleich, dass sie die Richtige ist.“

Es ist in den USA nicht ungewöhnlich, dass die Verliererpartei nach der Präsidentschaftswahl erst einmal kopflos ist und Jahre braucht, sich neu zu sortieren. Und wer will schon Erinnerungen der Nummer zwei eines erfolglosen Kandidatengespanns lesen? Nicht gerade eine Erfolgsstory. Umso interessanter sind Ausnahmen wie Richard Nixon, dessen Kreuzweg aus Anhängern Jünger machte.

Adrienne Ross beschloss, Palin zu folgen. „Der Wahltag war für mich mehr ein Anfang als ein Ende“, sagt sie. Sie startete einen Blog und begann sich mit anderen Fans zu vernetzen, bevor sie ihr Idol im Juni persönlich kennenlernte. Palin war genau, was sich Ross vorgestellt hatte. „Sie ist einfach ein richtiger Mensch. Ein ganz normaler Mensch.“

Das ist Ansichtssache. Sarah Palin wird in den USA ebenso innig verabscheut wie verehrt. Dass ihre schillernde Persönlichkeit widersprechende Deutungen zulässt, zeigt der Titel ihres Buches, „Going Rogue“. Freundlich interpretiert, heißt „rogue“ auf Deutsch schelmisch oder außer Rand und Band. Genauso gut kann es aber auch Schurke bedeuten, in dem Sinne, in dem George W. Bush das Wort für Staaten wie den Iran oder Nordkorea gebraucht hat. War Sarah Palin einfältig, als sie den Titel wählte? Oder raffiniert?

Ihre Gegner haben dem Wortspiel einen weiteren Dreh gegeben. „Going Rouge“ heißen zwei Bücher, die zeitgleich mit den Memoiren auf den Markt kommen, in Anspielung auf Palin, die sich selbst einmal „Pitbull mit Lippenstift“ nannte.

Zwei weitere Biografien sind bereits im Umlauf, eine davon aus der Werkstatt des Weekly Standard, eines rechtskonservativen Politmagazins, dessen Redaktionsspitze die Frau aus Alaska seinerzeit als Vizepräsidentschaftskandidatin ins Spiel gebracht haben soll. Autor Matthew Continetti will Palin zur Fackelträgerin des Rechtspopulismus machen. Als Vorbild präsentiert er Andrew Jackson, den Präsidenten auf dem 20-Dollar-Schein, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Eroberung des Westens vorantrieb, brutal Krieg gegen die Indianer führte – und die US-Wirtschaft in eine schwere Depression.

Der Titel ihres Buches kann „schelmisch“ bedeuten. Aber genauso gut „Schurke“

Sarahs Todeskomitees

Die Zeit scheint wieder reif für Politiker, die auf das tiefe Misstrauen vieler Hinterlandamerikaner gegenüber den Washingtoner Eliten, Regierungsstellen und Medien eingehen. „In Zeiten der Krise gedeiht der Rand“, sagt Ron Perrin, ein Professor für politische Theorie in Montana, der dieses Phänomen seit Jahrzehnten beobachtet. Die Sorge um Staatsschulden und die Skepsis gegenüber von oben verordneten Lösungen sei eine beliebte Methode, die sich schon Ronald Reagan geschickt zunutze gemacht hätte. Auch Palin greift dieses Misstrauen auf. Sie geißelte die geplante Gesundheitsreform und propagierte das Gerücht, Obama plane „Todeskomitees“ von Ärzten, die über die Lebensverlängerung alter Menschen richten sollten.

Aus Sicht des Politologen Perrin hat Palin nicht das Kaliber eines Ronald Reagan. Sie sei dafür nicht gewitzt genug. Für ihre Anhänger dagegen ist Einfalt nichts grundsätzlich Negatives. „Reagan ist der Verstand der Konservativen“, sagt Adrienne Ross. „Palin ist das Herz.“

Palins Verehrerin hatte sich in den Sommerferien auf den Weg nach Alaska gemacht. Ein Frühstück mit der Gouverneurin lockte. Irgendwo zwischen Fairbanks und Wasilla klingelte ihr Handy. Palin zurückgetreten! Ross brauchte einige Stunden zum Verdauen, doch sie grollt Sarah nicht. Sie findet, dass die Medien ihren Star verfolgen, und wenn sie davon spricht, verkrampft sich ihre Stimme. „Es gibt da Leute, die haben vielleicht einen Abschluss an einer Elite-Uni, aber gesunden Menschenverstand haben die nicht.“