: Viel mehr als bloß Stasi-Aufarbeitung
DDR Ein Personalproblem in Sachsen-Anhalt wirft die Frage auf: Was sollen Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen noch leisten?
LUTZ RATHENOW, SACHSEN
VON MICHAEL BARTSCH
DRESDEN taz | Die zweieinhalbjährige Hängepartie um die Neubesetzung des Stasi-Landesbeauftragten in Sachsen-Anhalt rief zuletzt auch den Bundesbeauftragten Roland Jahn auf den Plan. Es sei „ein schlechtes Signal für die Opfer der DDR-Staatssicherheit“, dass man sich nicht einigen könne.
Nach dem Rücktritt von Gerhard Ruden, der selber über einen Kommilitonen Berichte schrieb, hatte der Landtag im Juli dieses Jahres nach mehreren fehlgeschlagenen Besetzungsversuchen eigentlich die Pastorin Birgit Naumann-Becker gewählt. Vergangene Woche nahm aber das Bundesverfassungsgericht eine Klage des Mitbewerbers Bodo Walther an. Sie richtet sich gegen eine Bedingung im Landesgesetz, nach der Stasi-Landesbeauftragter nur werden kann, wer am 9. November 1989 in der DDR lebte.
Ist die Stelle des Stasi-Landesbeauftragten so wichtig, dass sie eine höchstrichterliche Entscheidung lohnt – oder so unwichtig, dass sie ruhig zweieinhalb Jahre bloß kommissarisch besetzt werden kann? Zunächst einmal ist sie im Stasi-Unterlagengesetz vorgesehen, und die Länder haben Ausführungsgesetze erlassen. „Ich schätze die Institution des Landesbeauftragten sehr. Regionale Aufarbeitung ist nahe an den Menschen dran“, so der Bundesbeauftragte Jahn.
Auch 22 Jahre nach dem Ende der DDR rüttelt niemand an der Institution an sich, auch oder erst recht nicht die Linke. „Ich rate meiner Fraktion dringend, den Stasi-Landesbeauftragten nicht in Frage zu stellen“, sagt beispielsweise Eva von Angern, rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion in Sachsen-Anhalt. Nicht nur aus taktischen Gründen wegen der SED-Vergangenheit, betont sie, sondern aus fachlichen, wie beispielsweise der psychosozialen Opferberatung. „Es ist noch nicht vorbei“, bestätigt Roland Jahn. Es gebe posttraumatische Störungen sogar in der Kindergeneration der Opfer. Von einem „Verbitterungssyndrom“ bei Unzufriedenen, deren Rehabilitierung praktisch nicht gelang, spricht Sachsens Landesbeauftragter Lutz Rathenow.
Das verweist auf eine Verschiebung in der tatsächlichen Arbeit. Das Türschild „Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ stimme eigentlich nicht mehr, meinte schon der ehemalige sächsische Beauftragte Michael Beleites. In den frühen neunziger Jahren ging es noch vorrangig um Informationen und Gutachten für die Überprüfungen im öffentlichen Dienst. Rund 1,7 Millionen Personen betraf das.
In diesem Jahr sind gerade noch 301 Anfragen bei der Jahn-Behörde eingegangen. Stattdessen sind Beratung, Bildung und Information in den Vordergrund gerückt. Aufgaben, die sich teilweise mit den Landeszentralen für politische Bildung oder den Gedenkstätten überschneiden.
„Man ist ein wenig Manager zwischen völlig verschiedenen Aufgabenbereichen“, fasst Lutz Rathenow seine Erfahrungen in Sachsen zusammen. Für Jahn sind die Information der nachwachsenden Generation und Aufklärung über die DDR die wichtigsten Aufgaben. Dafür sei Zusammenarbeit und nicht Konkurrenz erforderlich.
Jahn deutet die Option einer Zusammenlegung der Landesbeauftragten mit den Archiv-Außenstellen seiner Behörde an. Der Unterschied zwischen beiden sei vom Bürger kaum noch nachzuvollziehen. Anfang des kommenden Jahres will er mit den Landesbeauftragten auch über Strukturfragen beraten.
Vor allem aber drängt Jahn darauf, auch in der Amtsbezeichnung die Aufarbeitung der DDR nicht auf die Staatssicherheit zu beschränken. Ulrike Poppe in Brandenburg beispielsweise nennt sich richtigerweise „Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“. Längst sind sich Historiker einig, dass die alleinige Stasi-Fixierung eine Verkürzung darstellt. Viele Anfragen kämen auch aus Westdeutschland, berichtet Lutz Rathenow.
Änderungen an den Landesbeauftragten-Gesetzen sind aber nicht geplant. Der Bundesbeauftragte Jahn hätte stattdessen lieber einige Ressourcen mehr zur Verfügung. „In keinem Bundesland ist die Ausstattung der Landesbeauftragten ihren Aufgaben angemessen“, klagt er.