: NRW-SPD-Opposition ist Mist
100 Tage nach dem Machtverlust: Im Landtag verhalten sich die Sozialdemokraten, als hätten sie die Regierungsbänke schon vor Jahren verlassen. Müde Strategiedebatte. Ausfälle gegen Linkspartei
VON MARTIN TEIGELER
„Opposition ist Mist“, lautet eines der bekanntesten Bonmots von SPD-Chef Franz Müntefering. Dass seine nordrhein-westfälischen Genossen den Leitspruch des Parteichefs so penibel umsetzen, dürfte dem Sauerländer jedoch nicht gefallen. Seit 100 Tagen sind die Sozialdemokraten nun Opposition in Nordrhein-Westfalen. Doch besonders SPD-Oppositionsführerin Hannelore Kraft hat den Habitus der Polit-Reservistin schon verinnerlicht, als habe die Ex-Wissenschaftsministerin die Regierungsbank vor Jahren und nicht erst vor Monaten verlassen.
„Ersparen Sie mir einen Kommentar zu dieser schrillen Frau“, sagt ein Ex-Landesminister von der Parteirechten. „Sie muss ihre Rolle noch finden“, sagt ein linker SPD-Bundestagsabgeordneter aus NRW höflich. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bezeichnet seine Kontrahentin genervt als „Abgeordnete Kraft“.
„Ich werde Jürgen Rüttgers keine einzige ruhige Minute lassen“, hatte Kraft nach ihrer Wahl zur Fraktionschefin gesagt. „Wenn das alles war, dann liegen fünf ruhige Jahre vor mir“, antwortete Rüttgers. Bislang hat der Regierungschef recht behalten. Statt die Fehler der SPD-Regierungspolitik von 39 Jahren aufzuarbeiten und an neuen Ideen für die Landespolitik zu arbeiten, beschränkt sich Kraft bisher darauf, die neue schwarz-gelbe Regierung schlecht zu finden.
Jüngstes Beispiel: der Streit um neue Milliarden-Schulden. Die SPD erwägt eine Verfassungsklage gegen einen neuen Nachtragsetat. Schwarz-Gelb wolle unnötige Kredite aufnehmen und sich mit einem Buchungstrick „ein dickes Polster für die Erfüllung politischer Versprechen zurücklegen“, behauptete Kraft. Zu einer differenzierten Aussage über die Verschuldungspolitik sozialdemokratisch geführter Landesregierungen ließ sich die Oppositionsführerin nicht hinreißen. CDU-Fraktionschef Helmut Stahl wies die Vorwürfe denn auch als unseriös zurück: „Es ist unanständig, eine Regierung nach einem Vierteljahr mit etwas zu belasten, was Sie in 39 Jahren versaubeutelt haben.“
Während die SPD-Truppe im nordrhein-westfälischen Landtag Fundamentalopposition betreibt, hält sich der Landesvorsitzende Jochen Dieckmann zurück. „Er hat bislang keine Fehler gemacht“, heißt es aus der Partei. Der Weg zurück in die Regierung sei „lang und es geht ziemlich steil bergauf“, hatte Dieckmann der Genossenschaft bei seiner Wahl im Juli in die Parteibücher geschrieben. Bis zum Landesparteitag im Frühjahr 2006 soll der frühere Landesfinanzminister Vorschläge für moderne Parteistrukturen machen. Bislang verläuft die Struktur- und Strategiedebatte allerdings müde. Bei einer Klausurtagung am vergangenen Wochenende in Arnsberg wurde lediglich beschlossen, man wolle die stärkste Kommunalpartei werden.
Das gute Abschneiden der NRW-SPD bei der Bundestagswahl dürfte dem Erneuerungsprozess der Partei dabei eher schaden. Die West-Genossen ziehen sich an dem Resultat von 40 Prozent hoch, obwohl Wahlforscher versichern, nicht die Landes-SPD, sondern der starke Wahlkampf von Kanzler Gerhard Schröder sei verantwortlich für das gute Ergebnis.„Besonders im Ruhrgebiet wächst die Stimmung: Die Wahlpleite im Mai war nur ein Betriebsunfall“, warnt ein Landesvorstand.
Auch intellektuell läuft es für die NRW-SPD suboptimal. Eine Antwort auf die Herausforderung der Linkspartei? Fehlanzeige. Der SPD-Landesvize, Historiker und inoffizielle Chef-Ideologe Karsten Rudolph begnügte sich damit, die Linke mit der stalinistischen KPD der Weimarer Republik zu vergleichen: „Die Agitation der Linkspartei orientiert sich an der der KPD in Weimar, es wird mit Verratsvorwürfen gearbeitet, der SPD wird vorgeworfen, die Interessen der Arbeiter an das Finanzkapital zu verraten. Da klingt eine Rhetorik des nationalen Sozialismus an“, so Rudolph in der FAZ.
CDU-Fraktionschef Stahl machte der SPD gestern im Landtag Mut. In Anspielung auf ein Zitat des früheren britischen Tory-Premierministers Edward Heath sagte der Christdemokrat: „Die ersten zehn Jahre Opposition sind die schwierigsten. Dann wird es aber langsam besser.“