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Archiv-Artikel

Kämpfe in Zeitungsredaktionen

RIESENEGO Von Machtverhältnissen, einem alten Kulturverständnis und einem neuen Ding namens Internet: Annalena McAfees so amüsanter wie lehrreicher Zeitungsroman „Zeilenkrieg“

Viel unsympathischer wird es nicht mehr, aber was für ein Duell! Die alte, moralinsaure Kriegsreporterin und die junge, schamlos oberflächliche Boulevardjournalistin treten mit Riesenego und größtmöglicher Ignoranz gegeneinander an. Der größte Verlierer dieses Kampfes ist die Wahrheit, der beglückte Gewinner ist der Leser von „Zeilenkrieg“, dem Debütroman der britischen Journalistin Annalena McAfee.

Das Buch ist nicht nur hochamüsant, es erzählt von zwei Polen her erhellend die Geschichte des Zeitungsjournalismus, seine Fehler, seine Tücken, aber auch seine Kraft und Macht. Der klügste Kniff McAfees, die lange als Kulturredakteurin bei der Financial Times gearbeitet, später die Kunst- und Literaturbeilage des Guardian gegründet und geleitet hat, ist es, den Roman 1997 spielen zu lassen.

1997? Ja, lange her. Die Tory-Regierung von John Major ist am Ende, das Internetzeitalter steht am Anfang und an der „Fleet Street“, dem Londoner Zeitungsmarkt, streitet man sich, ob „dieses Internet“ nun die Zukunft ist oder nur eine Modeerscheinung. Die Machtverhältnisse in den Redaktionen werden neu verhandelt und auch die Grenzen des guten Geschmacks.

Tamara Sims, 27, wird zwar gerade von ihrer internetaffinen Kollegin ausgestochen, aber ein Auftrag weist ihr golden leuchtend den Weg zum Olymp, zur renommierten Wochenendbeilage. Bislang ist sie auf Promi-Klatsch-Charts spezialisiert mit Themen wie: „Vom As zum Fass: Erst nett, dann fett“. Warum man ausgerechnet sie mit dem großen Porträt der noch größeren Kriegsreporterlegende Honor Tait schickt, klärt sich erst gegen Ende des Romans. Davor geht es mächtig schief.

Denn Honor Tait, 80, ist zu erfahren, zu altersstarrsinnig und zu überzeugt von ihrer Bedeutung, um die junge Kollegin ernst zu nehmen. Und die tut Ihres dazu, indem sie sich statt für die Befreiung Buchenwalds und das Treffen mit Franco lieber für die vermeintliche Affäre mit Bing Crosby und die Freundschaft zu Liz Taylor interessiert. Oder zur Not eben auch für Hitler. „Hitler war zwar nicht Sinatra, aber trotzdem eine Berühmtheit. Zumindest hatte jeder schon mal von ihm gehört.“

Das Gespräch muss schiefgehen, Honor wirft sie raus. Aber Tamara gibt nicht so leicht auf, sie verfolgt Tait, stiehlt ihre Post, lauert ihr auf. Alles gipfelt in einer infamen Missbrauchs-Lügengeschichte und im ekligsten Boulevard. Annalena McAfee, Ehefrau von Ian McEwan, erzählt abwechselnd aus der Perspektive Honors und Tamaras, stellt das Damals dem Heute von 1997 gegenüber.

„Die jungen Leute von heute waren allesamt Kraftprotze, jeder ein kleiner Göring, der den Revolver entsicherte, sobald er das Wort ,Kultur‘ hörte. Und die Wahrheit war auf das Subjektive zusammengeschrumpft“, sagt Honor an einer Stelle des Buches. Aber es ist McAfees Kunst, dass sie bei aller Kritik am Journalismus des Jahres 1997 doch klarmacht: Auch einer Legende wie Honor Tait geht es nur um ihre Wahrheit. Die Autorin beschreibt nicht nur treffend die Hierarchien, Kämpfe und Abläufe in Zeitungsredaktionen, ihr Buch ist auch eine heitere Warnung davor, sich von sich selbst blenden zu lassen. DANIELA ZINSER

Annalena McAfee: „Zeilenkrieg“. Aus dem Englischen von Pociao. Diogenes, Zürich 2012, 480 Seiten, 22,90 Euro