: Ein neuer Tarif mit viele Gegnern
Ab morgen gilt im öffentlichen Dienst ein neues Tarifsystem. Viele Neueingestellte werden damit künftig schlechter dastehen als die jetzt schon Beschäftigten
BERLIN taz ■ Der Unmut ist groß. „Dank der völlig unzureichenden Informationspolitik der Ver.di-Führung sickern bei den Beschäftigten die Erkenntnisse erst sehr langsam durch, wie übel dieser Tarifvertrag ist“, heißt es im Internet-Forum der Gewerkschaft Verdi. Mitglieder beschweren sich über finanzielle Einbußen durch den morgen in Kraft tretenden Tarif (TvöD).
„Die Herren der Gewerkschaftsleitung sind so abgehoben, dass sie sich nicht in die Lage der sozial Schwächeren versetzen können“, klagt ein Forum-Teilnehmer. Das Murren wird auch bei der Gewerkschaft registriert. „Wir wissen um die Sorgen der Leute. Aber mehr war in der Verhandlungsrunde einfach nicht rauszuholen“, sagte Ver.di-Pressereferentin Cornelia Haß.
Ver.di-Chef Frank Bsirske hingegen sieht die neuen Tarifstufen, die langfristig für alle 2,1 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen gelten sollen, als richtigen Schritt an. Das Tarifrecht im öffentlichen Dienst sei so „zukunftsfest“ gemacht worden, sagte Bsirske. Für jüngere Angestellte gäbe es sogar Gehaltszuwächse. Allerdings profitieren von den neuen Regeln fast nur Beschäftigte bis zum 25. Lebensjahr. Auf ihre Lebensspanne bezogen werden sie weniger bekommen als nach dem bisherigen Tarifmodell. Gerade Alleinerziehende und Familien werden weniger Geld zur Verfügung haben – weil die Familienzuschläge wegfallen.
Durch die Tarifreform wird die Vielzahl der bisher geltenden Entgeltstufen auf maximal sechs Stufen verringert. Für die schon beschäftigten Mitarbeiter gibt es Übergangsregelungen, sodass es für sie zu keinen Kürzungen kommt. Für neu Eingestellte hingegen gilt der neue Tarif.
So erhält eine 27-jährige pädagogische Fachkraft, allein erziehend mit einem Kind, laut der Gehaltsgruppe BAT-VIb-West Kommunaltarif zurzeit noch 2.318 Euro. Ab Oktober bekommt eine neu eingestellte Beschäftigte in gleicher Position nur noch 1.764 Euro – 554 Euro weniger. Wer in eine gehobene Position wechselt, kann nach dem neuen TvöD mit einem Gehalt von zirka 2.800 Euro Brutto (Tarifgruppe 13 TvöD) rechnen. Bislang gab es rund 1.000 Euro monatlich mehr.
Ein langfristiger Konflikt bahnt sich bei den Krankenhausärzten an. Die Ärztevertretung Marburger Bund (mb) ist inzwischen aus der Verhandlungsgemeinschaft mit Ver.di ausgestiegen, weil sie die Entscheidung nicht mittragen wollte.
Die vom mb vertretenen Mediziner werden weiter nach dem BAT bezahlt. Für alle anderen wird zukünftig der neue Tarif gelten.
„Der TvöD ist für 98 Prozent der Ärzte ein Horrorszenario“, erklärt der Vorsitzende des Bundes, Frank Ulrich Montgomery. Die Verluste würden bis zu 68.000 Euro nach 20 Jahren Berufsausübung betragen, ohne dass dabei Arbeitgeberwechsel und die Geburt von Kindern eingerechnet seien.
Der TvÖD gilt allerdings bisher nur in den Institutionen von Bund, Städten und Gemeinden. Die 16 Bundesländer lehnen das Tarifwerk für ihre Einrichtungen ab. Die darin vorgesehene Wochenarbeitszeit von 39 Stunden sei zu niedrig, so der Vorsitzende der Tarifgemeinschaft der Länder, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU).
CARSTEN GRÜN