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Archiv-Artikel

„Es kann nicht sein, was nicht sein darf“

Das Problem der „Illegalität“ wird von der Politik ignoriert, sagt Uli Sextro von der evangelischen Kirche im Rheinland. Er fordert daher: „Das rein humanitäre Engagement für solche Menschen muss straffrei gestellt werden“

taz: Herr Sextro, Sie haben gestern beim Kölner Runden Tisch für Integration über die Erfahrungen der diakonischen Beratungsstellen und evangelischen Kirchengemeinden in NRW mit so genannten Illegalen berichtet. Wie sehen die aus?

Uli Sextro: Die Beratungsstellen haben primär mit abgelehnten Asylsuchenden zu tun, deren Verfahren rechtlich abgeschlossen sind und die dann untergetaucht sind. Die Problemlagen dieser Menschen sind unterschiedlich: In der Regel geht es um die Frage, wie kann ich meinen Status wieder legalisieren – zum Beispiel durch einen Asylfolgeantrag? Oder um medizinische Probleme: Jemand ist akut krank und hat Behandlungsbedarf.

Wie können Sie helfen?

Wenn es sich um einen ehemaligen Asylsuchenden handelt, der eventuell neue Gründe vorzuweisen hat, die noch nicht geprüft wurden, dann besteht sicherlich eine Chance. Ebenso wenn jemand heiraten möchte, die Papiere schon zusammen hat und nur kurzfristig auftauchen muss. Aber die Grenzen, in denen wir helfen können, sind auch mit den neuen Zuwanderungsgesetz sehr eng gefasst. Mehr Verhandlungsspielraum mit den Ausländerbehörden haben wir nur, wenn es um Legalisierung zur Organisation der Ausreise geht.

Kommt es vor, dass jemand zu Ihnen kommt, weil er wieder nach Hause will?

Letztes Jahr kam ein Mann aus Ägypten zu mir, der über 25 Jahre illegal in Deutschland war, weil er einfach nicht mehr konnte. Er war völlig fertig und sagte, er sehe hier keine Zukunft und möchte einfach nur raus. Wir haben es geschafft, dass er eine Grenzübertrittsbescheinigung bekam, so dass er eine Woche legal war. Das war für ihn ein ganz eigenartiges Gefühl, sich frei bewegen zu können, ohne vor einer Polizeikontrolle Angst zu haben.

Aber wie lassen sich „Illegale“ im Krankheitsfall behandeln, wo sie doch keine Krankenversicherung haben?

Sie bezahlen die Ärzte selbst, benutzen die Krankenkassen-Karten von Freunden, machen Selbsttherapie. Sie kommen erst, wenn zehn Aspirin am Tag die Schmerzen nicht mehr lindern. Wenn es darum geht, eine ambulante Behandlung zu vermitteln, ist das nicht so problematisch – weil es doch viele Ärzte gibt, die das umsonst oder gegen Spendenbescheinigung machen. Ein Problem gibt es aber, wenn stationäre Behandlung nötig ist. Weil die Krankenhäuser exorbitant hohe Kosten haben, werden sie in der Regel sagen: Aufnahme ja, aber wir sagen das dem Sozialamt, damit wir einen Kostenträger haben. Und damit ist die Person im Fokus der Ausländerbehörde.

Wie ist die Situation der Kinder: Laut Schulgesetz besteht auch für sie Schulpflicht.

Das ist eine widersprüchliche Gesetzeslage. Das NRW-Innenministerium sagt, alle Kinder, die hier leben, müssen zur Schule gehen – doch wenn der Schule bekannt wird, dass „illegale“ Kinder bei ihr sind, müssen sie die Ausländerbehörde informieren. Dagegen sagt der wissenschaftliche Dienst des Landtages: Da es keine gesetzliche Grundlage zur Erhebung des Aufenthaltsstatus von Kindern gibt, dürfen die Schulen diese Daten nicht erheben.

Sind Ihnen Fälle bekannt, wo Schulleiter „illegale“ Kinder gemeldet haben?

Mir ist ein Fall bekannt, wo der Schulleiter ein illegales Kind aufgenommen und das den Lehrern gesagt hat. Die haben dann so viel Druck auf den Schulleiter ausgeübt, dass er das Kind wieder von der Schule genommen hat – bevor die Lehrer die Ausländerbehörde informieren können. Das geschah nicht aus Böswilligkeit, sondern aus der Angst der Lehrer, sich strafbar zu machen wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Dieses Damokles-Schwert schwebt über allen Menschen, die sich für Menschen ohne Aufenthaltsstatus einsetzen. Das wird auch von Verbänden und Kirchen angemahnt.

Wie ist derzeit die politische Lage für die Arbeit mit Illegalisierten?

Die Situation hat sich durch das Zuwanderungsgesetz nicht verbessert. Und wenn man sich die Entwicklung auf der politischen Bühne anguckt mit einer möglichen Großen Koalition, macht das auch nicht gerade Mut. Das Thema Illegalität wird sicher nicht auf die politische Tagesordnung kommen, weil hier die Meinung herrscht: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

INTERVIEW: SUSANNE GANNOTT