Dortmunder Nachwahl „unwahrscheinlich“

Durch vertauschte Briefwahlunterlagen sind über 10.000 Bürgerinnen und Bürger um ihr Wahlrecht gebracht worden. Nachwahlen sind dennoch nicht in Sicht: Eine Mandatsverschiebung im Bundestag gilt als „extrem unwahrscheinlich“

DORTMUND taz ■ Für den Dortmunder Wahlamtsleiter Ernst-Otto Sommerer war es die „selbst verschuldete Katastrophe“: Durch die Vertauschung von Briefwahlunterlagen für die Dortmunder Wahlkreise 143 und 144 sind 10.533 Bürgerinnen und Bürger um ihr Wahlrecht gebracht worden. Dennoch gelten Konsequenzen als wenig wahrscheinlich. „Es ist klar, dass ein Wahlfehler vorliegt“, so Doreen Namislo, Mitarbeiterin von Bundeswahlleiter Johann Hahlen, zur taz. „Doch dieser Fehler dürfte kaum Mandatsrelevanz zeigen“ – bei bundesweit über 47 Millionen abgegebenen Stimmen dürften die 10.000 verlorenen Dortmunder Voten kaum Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestags haben.

Überhaupt stünden Nachwahlen erst in zwei bis drei Jahren an, erläutert Namislo. Zunächst müsste wegen des Wahlfehlers der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags angerufen werden. Allein diese Entscheidung kann bis zu ein Jahr auf sich warten lassen – üblicherweise gehen nach jeder Bundestagswahl mehrere Tausend Beschwerden ein. „Der Wahlprüfungsausschuss dürfte einen Wahlfehler feststellen, der aber höchstwahrscheinlich keine Mandatsrelevanz haben dürfte“, so Namislos Einschätzung. Gegen diese Entscheidung sei eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht möglich – 100 Unterstützerunterschriften vorausgesetzt. Entscheiden dürfte das Verfassungsgericht dann frühestens Ende 2007, Nachwahlen stünden in Dortmund damit wahrscheinlich erst 2008 an.

Selbst die Dortmunder CDU, die auf eine Verbesserung ihres mit 24,9 Prozent mageren Wahlergebnisses hofft, gibt sich zurückhaltend. „Wir entscheiden am Montag über einen Einspruch, also nach der Nachwahl in Dresden“, sagt Ralf Binnberg, CDU-Geschäftsführer in der SPD-Hochburg. Schließlich hätte über Tage hunderte Wählerinnen und Wähler bei den Christdemokraten angerufen, die ihre Partei aufforderten, gegen die Verfälschung des Ergebnisses vorzugehen. „Unwahrscheinlich“ sei eine Veränderung der Sitzverteilung im Bundestag durch die Dortmunder Nachwahl, räumt auch Binnberg ein, „aber im Bereich des Möglichen“.

Der Politologe Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Duisburg-Essen teilt Binnbergs Meinung. Eine Änderung der Direktmandate sei nicht in Sicht: In den Wahlkreisen 143 und 144 hatte die SPD rund 99.000, die CDU dagegen nur rund 45.000 Erststimmen erhalten. Selbst im „worst case“, wenn alle 10.000 Briefwählerinnen und -wähler für die CDU gestimmt hätten, wären die beiden Dortmunder Sozialdemokraten Marco Bülow und Ulla Burchardt mit deutlichen Abstand in den Bundestag eingezogen.

Schwieriger sei die Situation bei den Zweitstimmen, so Schmitt-Beck: „Denkbar“ seien im Fall einer Nachwahl aber Verschiebungen zwischen den Landeslisten der Parteien. Schnitte die Dortmunder und damit die nordrhein-westfälische CDU überraschend gut ab, könnte ein CDU-Bundestagsabgeordneter aus einem anderen Bundesland um sein Mandat bangen müssen – ähnlich wie der Detmolder Christdemokrat Cajus Julius Caesar, der bei einem unerwartet guten Abschneiden der sächsischen CDU bei der Dresdner Nachwahl am Sonntag um sein bereits sicher geglaubtes Bundestagsmandat bangen müsste.

Die Legitimation des Bundestags selbst sei aber auch für den unwahrscheinlichen Fall einer Dortmunder Nachwahl nicht in Frage gestellt, stellt Doreen Namislo klar. „Die Entscheidungen des Parlaments bleiben bindend.“ ANDREAS WYPUTTA

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