VOM SCHWEIGEN SPRECHEN UND VOM SPRECHEN SCHWEIGEN : Beim Joggen
ROGER REPPLINGER
Du hörst beim Joggen meistens ja nur dein Atmen, Seufzen, Stöhnen. Du hörst beim Joggen mal einen Ast, der knackt, unterm Schuh. Vielleicht mal ’ne Eichel, auf die du trittst. Bei Heike hörst du die Schlüssel, die sie in einem kleinen Etui hat, das am Schnürbändel des linken Schuhs sitzt. Redet man ein bisschen, oder nichts. Sonst Vögel, mal ein Rascheln, wahrscheinlich Karnickel, Autos an der Saarlandstraße, die Schüler der Heinrich-Hertz-Schule, die beim Rauchen kichern.
Hörst du plötzlich Leute ganz ruhig Sabbeln, sind das Radfahrer. Auch die besten Läufer werden kurzatmig, wenn sie laufen und reden. Und nun gibt’s Jogger, die telefonieren – beim Joggen. Haben irgendwo ein Mikro, das man nicht sieht, geben Anweisungen oder nehmen welche entgegen. Man wünscht sich ein Eichhörnchen, das mit Nüssen wirft, oder das Kabel durchbeißt, oder einen Vogel, der kackt.
Geil am Sport ist doch, dass man mit Haut und Haaren nur an dem Ort ist, an dem man Sport treibt, und zu der Zeit, und außerdem ziemlich bei sich. So bei sich zu sein, kriegt man sonst nur zu zweit hin. Wer telefoniert, ist zugleich woanders. Im Stadtpark, und in einem anderen Raum, einer anderen Zeit. Die Leute telefonieren ja auch beim Fußball und erzählen, wie es ist, dann sind sie keine Zuschauer mehr, sondern Radioreporter. „Nur“ gucken ist schwer, mehr als „nur“ ist Entfremdung. Das waren die, die zu viel reden.
Dann gibt es die, die zu wenig reden. Das sind anstrengende Leute, weil du dir die Sachen zusammen reimen musst. Was die an Kommunikation sparen, müssen die anderen mehr machen. Die Schweiger handeln, und nützen keinen der Informationswege, und du verstehst es nicht, und kriegst keine Chance zu reagieren, und dann ist es zu spät. Dann bist du sauer. Das hier geht gegen einen Schweiger. Der weiß schon, dass er hier gemeint ist.
Beim Schreiben geht es ja so, dass man schreibt und in dem, was man schreibt, auch schweigt. Nicht nur über das, was man nicht schreibt, das ist ja klar, sondern auch über das, was man schreibt. Weil man ja nicht alles schreibt. Muss man auch nicht, weil – der Leser denkt ja mit, und drüber raus. Hemingway, Hammett, Chandler: Die machen das so, also wenig.
Schauspieler wie Steve McQueen und Robert Mitchum machen das mit ihren Gesichtern. Eben nichts. Verziehen keine Miene. Die verdoppeln die Geschichte, die sie erzählen, nicht dadurch, dass sie sie neben den Bildern noch mit ihren Gesichtern erzählen. Wenn deutsche Fernseh-Schauspieler einen darstellen, der weint, dann weinen sie. Schultern zucken, schluchzen, Wasser aus den Augen.
Gute Schauspieler machen nichts. Der Schweiger wäre gern auch so. Der Dings, der Til Schweiger. Steve McQueen und Robert Mitchum kennen die Geschichte, die sie nicht erzählen. Bei Schweiger weiß ich das nicht. Der Ludwig Wittgenstein sagt, dass wir, wenn wir es nicht wissen, schweigen sollen.