Antisemitische Selbstmordattentate

betr.: „Körper in Sprengstoffgürteln“, taz vom 29. 9. 05

Im taz-Brennpunkt zur Frage „Dürfen palästinensische Selbstmordattentäter auf die Leinwand?“ wird mir im Artikel von Cristina Nord eine „Rhetorik des Verdachts“ unterstellt, sowie die „Gleichsetzung von Figuren- und Filmintention“. Ich habe mich in der Analyse des Films, auf die sich Cristina Nord bezieht, um größtmögliche analytische Klarheit bemüht (www.typoskript.net). Wenn mir nun unterstellt wird, ich nähme die antisemitischen Sprüche einer Nebenfigur für die Intention des Films, ist dies schlicht nicht wahr. Vielmehr habe ich die fehlende Distanzierung und damit Auseinandersetzung innerhalb des Films kritisiert.

„Der Filmkritiker von Rang ist nur als Gesellschaftskritiker denkbar.“ Diese Haltung Siegfrieds Kracauer verstehe ich auch im Sinne einer engagierten Filmwissenschaft, die die gesellschaftliche Rezeption und die immanent-ästhetische Analyse eines Films verbindet und gerade in Zeiten des weitgehenden Einverstandenseins (und dieses liegt bei der Besprechung des Films „Paradise Now“ bis auf wenige Ausnahmen von KollegInnen der Welt oder der Berliner Zeitung vor) skeptisch bleibt.

Keineswegs „mechanische Interpretation“, sondern ein kritisches Lesen der – oftmals bewusst vage bleibenden – Dramaturgie des Films sollte herausarbeiten, dass hier gerade nicht der kritisch-analytische Blick auf die Psychostruktur des Attentäters gewagt wird. Keinesfalls kann man „Paradise Now“ mit den Filmen Romuald Karmakars vergleichen, denn erstens wählt Karmakar für sein Publikum „unbequeme“ Figuren (Nazis, Kinderschänder, Söldner), während in Deutschland/Europa die palästinensischen Terroristen eher kritische Sympathie, zumindest Verständnis genießen.

Zweitens arbeitet Karmakar mit einem Zwang zum Hinsehen, der über die individuelle Geschichte hinaus den Zuschauer mit seiner eigenen Existenzweise konfrontiert. Dagegen zeigt auch die Analyse von Cristina Nord, dass dieses Konzept in „Paradise Now“ durch bloße Ästhetisierung ersetzt wird. Cristina Nord spricht von „Oberkörpern“, „Silhouetten“ und „jungen Leibern“ als Thema des Films. Diese Bilder sind doch Ausdruck einer Ästhetisierung, die nicht Mittel der kritischen Konfrontation, sondern zur Aufhebung von Distanz zu sein scheinen. Wieso sonst findet sich kaum Kritik an der schwülstigen Selbstinszenierung der Attentäter? Warum sagt der Regisseur selbst, die Attentate seien für ihn „eine sehr menschliche Reaktion auf eine extreme Situation“? Daraus spricht doch nicht der Versuch des Durchdringens des Wesens der Selbstmordattentate, sondern der Wunsch zu Verstehen (nicht im Sinne einer Erkenntnis, sondern im Sinne einer Entschuldigung).

Es wäre dringend zu diskutieren, wie sich die antisemitischen Selbstmordattentate im Film so darstellen lassen, dass sie eine Erkenntnis über die psychischen, familiären und gesellschaftlichen Umstände ermöglichen, aus denen heraus sie entstehen. Israel dafür verantwortlich zu machen, reproduziert dabei lediglich die ideologische Selbstlegitimation der Attentäter.

TOBIAS EBBRECHT, Berlin