: Aus Frosch mach Steak
Gen- und Biotechnologie boomen und werden zum Standortfaktor – kein Wunder, dass Künstler ihnen ins Labor folgen. Eine Ausstellung in der NGBK befragt sehr schlau das oft kritische, aber auch enge Verhältnis zwischen Kunst und Life Sciences
VON HARALD FRICKE
Es war kein Wunder der Schöpfung. Sondern harte Überzeugungsarbeit. Mit der Debatte um Gentechnologie hat sich auch die Humanbiologie zum lukrativen Feld für Start-up-Unternehmen entwickelt: Seit Beginn der Neunzigerjahre boomt die Branche der Life-Science-Firmen. Zur gleichen Zeit setzte im Kunstbetrieb eine umfassende Kritik an der Ökonomisierung des Körpers ein. In Ausstellungen wie „Game Grrrl – Abwerten (bio)technologischer Annahmen“ oder dem Reader „Geld Beat Synthetik“ wurde schon 1993/94 zum Widerstand gegen die postmoderne Verwertung des Menschen aufgerufen; damals schien die Forderung, dass Leben keine Ware darstellen soll, gut zu den „Stopp Patente auf Leben“-Graffiti der Anti-Gen-Tech-Aktivisten zu passen.
Mittlerweile hat sich der Druck durch die Lobbyisten verschärft. Zumal das menschliche Genom im Sommer 2000 weitgehend entschlüsselt wurde und bereits Ende der Neunziger das Klon-Schaf Dolly die Runde durch Feuilletons und Boulevardblätter machte. Nach diesem Innovationsschub wurde auch vom Bundeskanzler die Frage nach dem Limit von Gen- und Biotechnologie mit dem Verweis auf den Wirtschaftsstandort vom Tisch gewischt.
Und die Kunst? Malt wieder in Öl, schön figürliche und romantische Bilder vom Menschen. Insofern ist die Ausstellung „Put On Your Blue Genes“ in der NGBK eine notwendige Korrektur, die noch einmal kulturwissenschaftliche Ansätze, den aktuellen Forschungsstand und künstlerische Experimente zusammenbringt.
Da ist zunächst die Macht der Begriffe. Gleich am Eingang muss man sich den Weg durch Punching-Bälle bahnen, die mit Stichworten bedruckt sind: „Aktive Evolution“, „Fitness“, „Functional Food“ oder „Semi-Living“. Dem „Functional Food“ begegnet man später in einer Küchen-Installation des Brüsseler Kollektivs namens Agentur wieder, das mit Schautafeln und abendlichen Veranstaltungen darüber informiert, dass sich in Berlin und Umgebung immer mehr Unternehmen ansiedeln, die genetisch manipulierte Produkte als angeblich besonders gesundheitsfördernd anbieten.
Nebenan kann man auf Monitoren die Soap „Gute Gene – schlechte Gene“ von Hybrid Video Tracks anschauen, die in einem trashigen Offener-Kanal-Setting über den Börsengang einer fiktiven Biotech-Firma berichtet. Suzanne Anker wiederum zeigt unter dem Titel „Golden Boy (stem cells)“ zwölf Digitalprints mit glibberig weißen Schleimhaufen und setzt so dem Versprechen biologisch perfekter Kinder das nackte Material der Stammzellforschung entgegen.
Das klingt nach viel Aufklärung, nach bürgernahem Graswurzeltum und Infotisch-Entertainment. Tatsächlich versucht die Blue-Genes-Ausstellung einerseits, eine Kritik an der Kulturalisierung von Biotechnologie zu formulieren – oft werden gerade Wissenschaftsausstellungen zur Werbeveranstaltung für die magisch schillernde Welt des genetisch Machbaren. Umgekehrt gilt auch für „transgene Kunst“, dass sie mit ihrem Gegenentwurf zu den Errungenschaften aus den Laboren meist nicht ohne deren Know-how auskommt: Klonierung ist schließlich kein DIY-Verfahren aus der heimischen Garage.
Die Spezialisierung hat Folgen. Viele Künstler, die für „Blue Genes“ ausgewählt wurden, arbeiten mit wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen. So auch das australische Tissue Culture & Art Project (TC & A) mit seinen „Semi-Living“-Recherchen. Die Gruppe hatte 2003 bei einer Performance in Nantes unter Zuhilfenahme von Muskelzellen eines Frosches künstliche Steaks hergestellt.
Reste des unappetitlichen Mahls sind nun in Glasbehältern auf einem gedeckten Tisch zu sehen, außerdem dokumentiert ein Video die Aktion. Im Film erfährt man zwar, dass TC & A sich für die Schnittstelle interessieren, an der künstlich geschaffene Objekte in Leben übergehen. Inwieweit diese Ergebnisse aber für die wissenschaftliche Einrichtung, mit der die Gruppe kooperiert, nutzbar gemacht werden, bleibt allerdings unklar.
Dagegen operiert das Critical Art Ensemble mit einem deutlichen Feindbild: der Bush-Regierung. Sie hat nach 9/11 die Angst vor Bioterrorismus geschürt, um damit die eigene Politik der Überwachung und Kontrolle zu legitimieren. Das Critical Art Ensemble rechnet nun vor, dass man tonnenweise Milzbrandsporen brauchen würde, um die USA zu verseuchen – das ist logistisch von keiner terroristischen Organisation zu schaffen. In der NGBK haben die Kunstaktivisten derweil 2 ml des Bakteriums auf zehn Petrischalen verteilt. Sicher verschlossen, natürlich. Sonst hätte das Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg die Anthrax-Präsentation niemals genehmigt.
Put On Your Blue Genes, bis 23. 10., täglich 12–18.30 Uhr, NGBK, Oranienstr. 25. Katalog: 14 €