„Es ist bitter, dass die DDR-Starathleten alle Doping leugnen“

Die Schriftstellerin und Exsprinterin Ines Geipel über ihren vergeblichen Versuch, einen Doping-Rekord loszuwerden – und das Versagen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes

taz: Frau Geipel, Sie halten mit den Ex-DDR-Sportlerinnen Wöckel, Auerswald und Göhr mit Motor Jena seit 1984 den deutschen Vereinsrekord über 4x100 Meter: 42,20 Sekunden. Nun wollen Sie wegen der DDR-Doping-Geschichte Ihren Namens aus der Bestenliste streichen lassen. Wie hat der Deutsche Leichtathletik-Verband reagiert?

Ines Geipel: Ich durfte der SZ vom 1. Oktober entnehmen, dass ich diesen Rekord nicht zurückgeben darf, da es sich um einen Staffelrekord handelt. In dem Fall müsse der Verein den Antrag stellen, die drei anderen Staffel-Mitglieder müssen einverstanden sein. Es ist nur so, dass der DLV bereits im Jahr 2000 beschlossen hatte: Gibt es Unterlagen, die eine Doping-Praxis belegen, wird der Rekord automatisch aberkannt. Mein damaliger Trainer Horst-Dieter Hille hatte in seinem Prozess über unsere Trainingsgruppe klar über die Doping-Vergaben an uns ausgesagt; ich auch, während des Prozesses im Frühjahr 2000 in Berlin.

Dennoch wird von Ihnen verlangt, sich noch einmal des Dopings zu bezichtigen?

Man fordert meine Selbstbezichtigung, weil es das Einfachste ist, das Problem des Verbandes auf den Einzelnen zu verlagern. Der Verband liebt Effizienz und meidet die Anerkennung von Brüchen. In diesem Land ein altes und einigermaßen ermüdendes Phänomen.

Glauben Sie, dass es DDR-Spitzenathleten gab, die sich dem systematischen Doping entziehen konnten?

Manfred Höppner, Manager des DDR-Staatsdopings, hat während des Berliner Prozesses dazu gesagt: Es gab zwei olympische Sportarten, die diesem Programm nicht unterlagen: Segeln und Künstlerische Gymnastik. Geht es klarer?

Marita Koch weist Doping-Vorwürfe zurück. Glauben Sie ihr?

Der Doping-Vorteil bei einer 400-Meter-Läuferin liegt bei 1,2 Sekunden. Damit wäre Marita Koch auch heute absolute Weltspitze. Sie war eine große Athletin. Den Missbrauch anzuerkennen und die eigene, hart erarbeitete Leistung dennoch in sich halten, ist für Topathleten ein harter Weg. Wenn es dazu noch einen Verband gibt, der seine Verantwortung diesbezüglich vollkommen verweigert, wird es obskur. Man muss ehemaligem DDR-Nationalgut eine Chance geben, sich aus seinen kruden Interpretationen zu befreien. Wohin soll das sonst führen?

Wären Sie glücklich, wenn sich Ihnen jemand anschlösse?

Glück ist das eine, die Realität das andere. Im Moment ist die völlige Leugnung der ehemaligen DDR-Starathleten angesagt, ohne Ausnahme. Das ist bitter, aber auch ernst zu nehmen.

Kochs 400-m-Weltrekord steht seit 20 Jahren, viele andere gelten als so genannte Doping-Rekorde. Sollte man sie löschen?

Natürlich müssen diese Rekorde stillgelegt werden, damit Athleten, die heute starten, wieder einen realen Anreiz haben. Aber auch da wäre ein kreatives Agreement vonnöten. Man kann jemanden, der in einem Zwangssystem gesteckt hat, nicht einfach im Nachhinein bestrafen. INTERVIEW: JUTTA HEESS