: Die labile Hierarchin
KRIMIREIHE Ausgefeilte Dialoge, belangloser Plot: „Unter Verdacht – Tausend Augen“ (21 Uhr, Arte)
Die signifikante Kommissarinnenschwemme im deutschen Fernsehkrimi der vergangenen Jahre ist schon viel zu oft konstatiert worden, um noch als Einstieg in eine Fernsehkritik zu taugen. Es hilft auch nicht der Hinweis, dass Kommissarin natürlich nicht gleich Kommissarin ist, dass die Hoger und die Berben und sogar die in der Gunst des breiten Publikums angeblich ganz oben stehende Furtwängler natürlich ihre ganz eigenen kriminalistischen und schauspielerischen Qualitäten haben.
Wie also soll man anfangen? Zum Beispiel damit, dass Senta Berger in ihrer Grimme-Preis-gesegneten Rolle als Eva Maria Prohacek wirklich – wirklich– etwas Besonderes ist. Nicht nur weil die promovierte Prohacek eigentlich gar keine Kommissarin, sondern Kriminalrätin ist, im höheren Dienst also, und so schon beamtenhierarchisch über ihren zahlreichen Kolleginnen stehend.
Der nun schon 14 „Unter Verdacht“-Filme währende Kleinkrieg mit ihrem verschlagenen Vorgesetzten Dr. Claus Reiter hat an ihr gezehrt, gesundheitlich ist Kriminalrätin Prohacek schwer angeschlagen. Ihre spröde, harte Schale ist noch ein bisschen brüchiger, als sie es sonst immer schon war. Diese Frau hat eine Vergangenheit.
Jetzt, unter dem Damoklesschwert einer möglichen Krebserkrankung, bricht ihre sonst sorgsam kontrollierte Labilität immer wieder hervor: Im Verhör etwa, wenn Prohacek die Nerven durchgehen, sie sich dann aber ganz schnell wieder fängt. Senta Berger spielt das: großartig. Absolut überzeugend.
Dass der Film (Regie: Florian Kern) auch im Ganzen überzeugt, verdankt er der bemerkenswerten Konsequenz seiner Autoren, Michael Gantenberg und Hartmut Block. An die Konstruktion eines glaubwürdigen Plots haben sie nicht allzu viel Gedanken verschwendet, er ist mehr hanebüchen als ausgefeilt: Es geht um rumänische Autoschieber, um die es am Ende dann doch nicht geht, weil es, wie immer bei „Unter Verdacht“, um großkopferte Spezln aus deutschen respektive bayerischen Landen geht.
Die Stärke des Buchs sind vielmehr die tatsächlich sehr ausgefeilten Dialoge. Zum Beispiel: Prohacek sitzt bei Reiter (Gerd Anthoff) im Büro, paralysiert, gerade hat sie das positive Ergebnis der Krebsuntersuchung zur Kenntnis nehmen müssen. Da wird sogar der aalglatte Reiter für einen kurzen Moment schwach, will ihr Trost spenden, sucht ungelenk nach den richtigen Worten: „Also schau, machen wir uns nix vor: Wir zwei, wir sind nicht mehr die Allerjüngsten – aber unsere Erfahrung, die kann uns ja keiner nehmen.“
Reiter hat es selbst nicht leicht in dieser Folge. Ihm sitzt ein junger Staatssekretär im Nacken, der immer wieder süffisant auf sein Alter anspielt. Dieser Fleissmayer heißende Staatsekretär ist so adrett, so kerzengrade und schnöselig, dass man bis vor Kurzem noch hätte annehmen dürfen, er besetze die Rolle des Knallchargen in diesem Stück. Da waren Guido Westerwelle und Philipp Rösler noch nicht Minister.
JENS MÜLLER