: Null Komma null Wehmut
„Ich wehre mich dagegen, dass das schon der Höhepunkt meines Lebens war“: Jens Todt war mal Fußball-Europameister. Jetzt ist er Journalist – und schreibt über alles außer Sport
VON DAVID DENK
Neulich wurde bei Jens Todt zu Hause in Potsdam eingebrochen. Alles weg, die ganzen Erinnerungen an 13 Jahre Profifußball, davon zehn Jahre Bundesliga und darin 1996 ein Europameistertitel, den der 35-Jährige allerdings selber nicht so ganz ernst nimmt und einen „halben Titel“ nennt: Der Mittelfeldspieler war nachnominiert worden und saß im Finale auf der Bank.
Es scheint, als habe das Schicksal ihn wachrütteln wollen, ihm die Andenken weggenommen, damit er endlich mit der Vergangenheit abschließt und nach vorne guckt, in ein Leben ohne Ball am Fuß. Das Schicksal hat keine Ahnung. Für Jens Todt ist das Kapitel Fußball längst abgehakt, vorbei, ein anderes Leben.
Seit Juli volontiert er bei „Spiegel Online“. In den ersten Monaten seiner Ausbildung, erzählt er beim Treffen in einem Café an der Friedrichstraße, unweit seines Büros, sei er „richtig viel unterwegs gewesen“, habe eine Woche lang aus dem Wahlkreis Dresden I und vom Fundort der Babyleichen in Brieskow-Finkenheerd berichtet. „Warum Leute so sind, wie sie sind“, möchte er verstehen und aufschreiben. Bei der Mutter, die heimlich neun Kinder gebar, tötete und in Blumenkästen vergrub, habe er allerdings aufgeben müssen. Ein neues Gefühl, dem sich Todt offensiv stellt. Deswegen berichtet er für „Spiegel Online“ auch nicht über Fußball. Nur für die WM will er eine Ausnahme machen.
An Jens Todt war schon als Fußballer vieles ungewöhnlich, sein Abi, die drei Semester Germanistik in Freiburg (parallel zum Zweitliga-Fußball!); besonders aber, dass er, nachdem sein Knöchel 2003 die Karriere beendete, keine Entzugserscheinungen hatte. Viele seiner ausgemusterten Kollegen versuchen dies durch einen Seitenwechsel zu kompensieren – und werden Trainer, Manager oder TV-Fußballexperte.
Jens Todt wird gerade Journalist. Nicht aus Verlegenheit oder diffuser Verbundenheit mit der Medienbranche, sondern weil er das schon immer wollte. Warum? „Auch wenn es sich naiv anhört, ein bisschen will ich die Welt schon verbessern.“ Diese Ernsthaftigkeit unterscheidet ihn von anderen ehemaligen Profisportlern, die nach dem Ende ihrer Karriere diese als Experten, Kommentatoren oder Moderatoren medial zweitverwerten, wie Heike Drechsler (Eurosport), Franziska van Almsick (ARD) oder Boris Becker (DSF). Auch Todts Mannschaftskollege Oliver Bierhoff, dessen Golden Goal sie 1996 im EM-Endspiel gegen Tschechien noch gemeinsam bejubelten, war Sat.1-Experte, bevor er zum Manager der Nationalelf berufen wurde.
Sie alle sind dem Sport verbunden geblieben, Todt hat den klaren Schnitt gewagt. Heute beschäftigen ihn ganz andere Sachen als die immer gleiche Frage, ob der Trainer ihn jetzt aufstellen wird oder der Knöchel endlich Ruhe gibt. Ohne zu zögern spricht er über seine journalistischen Schwächen, er macht im Gespräch ohnehin einen sehr reflektierten, gelassenen Eindruck. Ihm fehle es eindeutig noch an Schreibroutine. Außerdem müsse er lernen, auch unter Zeitdruck gut und gründlich zu arbeiten.
Diese Kombination aus genauer Selbstbeobachtung und im wahrsten Sinne des Wortes antrainiertem Selbstbewusstsein verdankt er wohl seiner Zeit als Fußballer. Davon profitiert er jetzt. Während andere in ihrer Ausbildung auf Bestätigung für ihre Arbeit warten, die meist ausbleibt, hält Todt sich an die einfache Regel: „Wenn’s keine derbe Kritik gibt, war der Text gut.“
Angefangen zu schreiben hat Jens Todt bei der Schülerzeitung, es folgte Die Harke, die Lokalzeitung in seiner Heimatstadt Nienburg, für die er über A- und B-Jugend-Begegnungen berichtete. Später, während seiner Zeit beim SC Freiburg, bekam er eine Kolumne im Fußballmagazin Hattrick und machte in der Bundesliga-Sommerpause zwei Praktika – eins beim Stern und das andere beim Spiegel, wohin er im Dezember 2004 für zwei weitere Praktika, im Berliner Büro und beim Onlineableger, zurückkehren sollte. Todt weiß, dass das nicht normal ist, und freut sich über sein Glück: „Ich finde es ein ganz großes Privileg, dass ich einen Job machen kann, der mir Spaß macht.“ Ein Privileg, das er sich leisten kann, denn während des Volontariats zehren seine Frau, die zwei Töchter und er von den Rücklagen aus der Zeit als Fußballprofi. 18 Monate dauert die Ausbildung, bis Ende 2006. Arbeitszeit von neun bis 18 Uhr – meistens länger. Und so verblasst die Fußballerkarriere allmählich als Streich, den sein Lebenslauf ihm gespielt hat.
Jens Todt ist nur noch selten im Stadion. Was soll er da? Wenn er dann doch mal hingeht, wie etwa zum DFB-Pokalfinale Ende Mai, lässt es ihn kalt: „Da war null Komma null Wehmut. Die Zeit als Fußballprofi war wunderschön, ist aber total weit weg.“ So weit weg, wie er sie geschoben hat, denn Todt verbietet sich Sentimentalitäten schon aus Selbstschutz: „Ich wehre mich dagegen, dass das schon der Höhepunkt meines Lebens war“, sagt er. Und ergänzt doch nüchtern: „Es ist relativ unwahrscheinlich, dass du nach zehn Jahren Bundesliga noch einen Job findest, in dem du ähnlich gut bist.“
Und sein Verhältnis zu Journalisten, wie hat sich das durch seine eigene Erfahrungen gewandelt? „Früher hat man geflucht über die schlechten Fragen, die einem gestellt wurden“, sagt er. „Jetzt muss man sich selbst schlaue überlegen.“