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Archiv-Artikel

Ärzte, auf nach Australien!

Wirtschaftsboom und Akademikerflucht: Die australische Erfolgsstory ist ambivalent, aber sie bietet Arbeitslosen weltweit eine Chance: Fachkräfte werden gesucht

BERLIN taz ■ Australien sucht Fachkräfte – auch in Deutschland. Daher organisierte die australische Regierung gestern und vorgestern eine Jobbörse. In einem Berliner Hotel boten 26 Unternehmen über 1.300 freie Stellen an. Die australische Botschaft ist zufrieden: „Es war sehr voll.“ Weit über 1.000 Besucher wurden gezählt.

Berlin ist die einzige deutsche Station dieser „Roadshow“, die auch noch in London, Amsterdam und im indischen Chennai gastiert. Im nächsten Jahr sollen Bangkok, Manila, Seoul und Los Angeles folgen. Im Internet (www.immi.gov.au) hat die australische Regierung aufgelistet, welche Berufe besonders gesucht sind: Ärzte, Ingenieure, aber auch Friseure, Konditoren oder Autolackierer. Die Interessenten dürfen noch keine 45 Jahre alt sein und müssen über gute Englischkenntnisse verfügen.

Mit ihrer Werbeaktion will die australische Regierung erreichen, dass die Zahl der qualifizierten Arbeitsmigranten 2005 um 20.000 auf insgesamt 97.500 Personen steigt. Macht inklusive Familienangehörige rund 150.000 Zuzügler.

Seit 1992 wächst die australische Wirtschaft um jährlich mehr als 3 Prozent, die Arbeitslosigkeit ist auf etwa 5 Prozent gefallen. Allerdings kann der Dauerboom nicht erklären, warum Australien so dringend Arbeitsmigranten sucht. So entstanden 2003 nur 19.300 Vollzeitjobs und 24.300 neue Teilzeitstellen.

Trotzdem muss die Zahl der Einwanderer deutlich darüber liegen – weil sehr viele Australier ihr Land verlassen. Vor allem die Akademiker fliehen. Etwa 900.000 sollen schon im Ausland arbeiten. Bei insgesamt knapp 10 Millionen Erwerbstätigen entspricht dies fast 10 Prozent der Arbeitsbevölkerung. Eine mögliche Erklärung: Australier müssen 1.855 Stunden jährlich arbeiten; der OECD-Durchschnitt liegt bei 1.643 Stunden. Auch erleben viele Australier ihr Land, das nur 20 Millionen Einwohner zählt, als provinziell. Besonders auf dem Land und in den Kleinstädten sollen die Einwanderer nun die Lücken füllen. Doch die australische Botschaft verspricht: „In der Wüste muss niemand arbeiten.“

Hohes Wachstum und Vollbeschäftigung: Die „australische Erfolgsstory“ gilt inzwischen auch in Deutschland als Vorbild. Allerdings sind die beiden Länder kaum zu vergleichen. Das beginnt schon beim Außenhandel: Während Deutschland Exportweltmeister ist, importiert Australien vor allem. Die Handelsbilanz weist ein chronisches Defizit auf. Und wenn Australien exportiert, dann nicht so sehr Industriegüter wie Deutschland – sondern vor allem Rohstoffe.

Die hochproduktive Bergbauindustrie bindet jedoch nur 0,8 Prozent der Bevölkerung, die meisten arbeiten in Dienstleistungsberufen. Dazu passt, dass der private Verbrauch den australischen Boom ermöglicht hat – in Deutschland hingegen lahmt der Binnenmarkt.

ULRIKE HERRMANN