: Vier Tage Überraschung
POP-GLOBALISIERUNG Mit dem Laptop um den ganzen Globus: das Elektromusikfestival Worldtronics im Haus der Kulturen der Welt
VON TIM CASPAR BOEHME
Die Elektronikszene Berlins ist riesengroß. In keiner anderen Metropole tummeln sich annähernd so viele Laptop-Tüftler. Die Szene ist zudem höchst international. Wenn dieser Tage das Haus der Kulturen der Welt zur dritten Ausgabe von Worldtronics lädt, einem Festival, das sich den Facetten der elektronischen Musik widmet, könnte man also fragen: wozu eigentlich? Ist nicht ganz Berlin so ein Festival?
Detlef Diederichsen, Bereichsleiter für Musik am Haus der Kulturen der Welt, hat eine klare Antwort: „Unterm Strich hat man in Berlins Szene einen großen Anteil von Europäern, Angloamerikanern, Kanadiern und weniger Leute aus Zentralafrika oder Südostasien.“ Mit Worldtronics will er Entwicklungen präsentieren, die sich „jenseits der angloeuropäischen Zentren“ abspielen. Und die Musik soll den Leuten etwas Unerwartetes bieten. Daher der neue Untertitel „Electronica Surprise“.
Der Haupttitel „Worldtronics“ hingegen könnte Erinnerungen an „Weltmusik“ wecken, ein ziemlich blöder Begriff, der denkbar wenig Auskunft über die gemeinte Musik gibt. Am Haus der Kulturen der Welt teilt man diese Abneigung. „Ich persönlich konnte mit dem Weltmusikbegriff noch nie etwas anfangen, weil er für mich schon sprachlich keinen Sinn ergibt“, so Diederichsen. „Da denkt man doch an Musik, die auf der ganzen Welt gehört wird, wie beispielsweise Scorpions oder Madonna. Aber für das, was darunter im Plattenladen zusammengefasst wurde, galt gerade das Gegenteil.“
Grundsätzlich anders
Worldtronics folgt dagegen durchaus dem ursprünglichen Auftrag des Hauses, Kultur aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu präsentieren. „Das ist 1989 sicherlich aus einer anderen Situation heraus formuliert worden, als wir sie heute haben, einfach weil die Globalisierung dann doch sehr rapide vorangeschritten ist, auch in der Kultur.“ Im Jahr 1989 war am Haus auch noch das Wort „Weltmusik“ gebräuchlich, und die generelle Vorgehensweise sah Programme zu einzelnen Ländern vor, mit einer „repräsentativen“ Auswahl verschiedener künstlerischer Positionen: „Das machen wir heute nicht mehr. Wir versuchen eher, bestimmte Themen zu finden, die Künstler aus Asien, Lateinamerika und Afrika aufgreifen.“
Im Vergleich zu 1989 hat sich nicht nur die grundsätzliche Art der Programmkonzeption geändert, auch die Musikauswahl ist seit Diederichsens Wechsel an das Haus im Jahr 2006 eine andere. Der Bruder des Poptheoretikers Diedrich Diederichsen hat, ob als Autor der Magazine Sounds und Spex, als Musiker der Band Ede & Die Zimmermänner oder als Labelgründer und Musikproduzent, eine gründliche Popsozialisation hinter sich. Diederichsen wurde daher vom neuen Leiter des Hauses Bernd M. Scherer mit dem ausdrücklichen Wunsch in sein Team gebeten, dass man wieder viel Musik machen wolle, und zwar „mit einem Pop-Background, nicht mit einem Folklore- oder musealen Multikulti-Background“. So gesehen ist das Programm der diesjährigen Worldtronics durchaus wunschgemäß geraten. Zum Auftakt führen The Lappetites, ein internationales Laptop-Quartett um die in Finnland lebende Berliner Musikerin Antye Greie, ihre Multimedia-Oper „Fathers“ auf, in der die vier Frauen unter anderem Videoaufnahmen ihrer Väter verarbeitet haben. Der von Alexander Hacke in Kooperation mit dem Kreuztanbul-Festival kuratierte Abend widmet sich Istanbuler Gitarren- und Noisemusik, und zum Abschluss am Samstag erklingen digitale Cumbia-Klänge aus Mexiko und Brasilien.
Selbst ostasiatischer Elektropop fügt sich widerstandslos in dieses Konzept ein. Der Musiker Henry Foundation aus Jakarta stellte für den Freitag ein Programm mit Bands aus China, Java und Singapur zusammen. Kuratoren sind ein fester Bestandteil von Worldtronics, da sie einen eigenen Zugang zu den einzelnen Szenen haben. „Wir versuchen nicht, repräsentativ Szenen darzustellen, sondern sie bewusst aus einer Perspektive darzustellen“, so Diederichsen.
Goodnight Electric
In diesem Zusammenhang ist auch die enge Kooperation mit dem Goethe-Institut zu erwähnen. Markantestes Beispiel ist das Projekt „Die Asia-pazifische Platte“, für das der Musiker und DJ Hans Nieswandt in Asien unterwegs war, um elektronische Bands nach Deutschland einzuladen. „Das hat dazu geführt, dass Goodnight Electric letztes Jahr nach Köln kamen, wo ich sie gesehen habe, und Henry Foundation von Goodnight Electric stellt jetzt für uns diesen Abend zusammen.“ Doch auch wenn man am Haus gern mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitet, sei dies nicht die einzige Rekrutierungsform von Künstlern. Alexander Hacke zum Beispiel habe „mit Goethe nichts zu tun“.
Dass seine Institution mit Mitteln von der Bundesregierung und vom Auswärtigen Amt gefördert wird, sieht Diederichsen eindeutig als Stärke: „Wir können es uns leisten, Sachen zu machen, die sich andere nicht leisten können.“ So könne man auch einen Calypso-Star wie The Mighty Sparrow aus Trinidad holen, der noch nie in Berlin aufgetreten ist. Billigend in Kauf genommen wird bei alledem, dass das Programm keine einheitliche Linie erkennen lässt: „Einen Nenner gibt es nicht. Höchstens wie die Unterzeile verrät: Ich hoffe, dass es vier Abende voller Überraschungen sind.“
Programm: www.hkw.de