Preis für Atomlobby

VON SVEN HANSEN

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr zu gleichen Teilen an die in Wien ansässige Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) der Vereinten Nationen und an ihren ägyptischen Direktor Mohammed al-Baradei. Das teilte das Nobelkomitee gestern in Oslo mit. Ausgezeichnet würden damit deren „Bemühungen zu verhindern, dass die Nuklearenergie für militärische Zwecke genutzt wird, und zu gewährleisten, dass die Nuklearenergie für friedliche Zwecke so sicher wie möglich eingesetzt wird“, heißt es in der Begründung des fünfköpfigen Nobelkomitees.

Das Komitee möchte „in einer Zeit, in der die Bedrohung durch Atomwaffen wieder zunimmt“, unterstreichen, „dass dieser Bedrohung mit der breitestmöglichen internationalen Zusammenarbeit begegnet werden muss“. Damit spricht sich das Komitee deutlich gegen unilaterale Maßnahmen aus, mit denen in der Vergangenheit insbesondere die USA immer wieder gedroht hatten.

Die IAEO wurde 1957 als unabhängige Organisation innerhalb der Vereinten Nationen gegründet. Ihre Aufgabe ist die Förderung der friedlichen Nutzung der Atomenergie und die Überwachung des Ende der 60er-Jahre geschlossenen Atomwaffensperrvertrags. Der 63-jährige al-Baradei leitet die Behörde seit 1997. Er wurde 2003 bekannt, als er vor dem Irakkrieg dem Druck der USA widerstand (siehe Kasten).

In letzter Zeit spielten al-Baradei und die IAEO eine wichtige Rolle in den Konflikten um die Atomprogramme Nordkoreas und des Iran. Der IAEO-Gouverneursrat, in dem Vertreter von 35 Staaten mit Atomenergie sitzen, verabschiedete kürzlich eine von der EU eingebrachte Resolution zum iranischen Atomprogramm, die grundsätzlich eine Anrufung des UN-Sicherheitsrates ermöglicht.

In Anerkennung der heiklen, aber beharrlichen Arbeit al-Baradeis war er Ende September trotz anfänglichen Widerstands der US-Regierung für eine dritte Amtszeit gewählt worden. Er ist nach Anwar al-Sadat 1978 der zweite Ägypter, der mit diesem Preis geehrt wurde.

Die Reaktionen auf die Vergabe des Preises, der am 10. Dezember in Oslo verliehen wird und mit insgesamt rund 1,1 Millionen Euro dotiert ist, fielen unterschiedlich aus. UN-Generalsekretär Kofi Annan, der selbst 2001 zusammen mit den Vereinten Nationen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, nannte die Entscheidung eine willkommene Erinnerung daran, wie nötig im Kampf gegen Atomwaffen Fortschritte seien. Bundeskanzler Schröder sprach von einer „sehr klugen Entscheidung“, Frankreichs Präsident Jacques Chirac äußerte sich „sehr erfreut“. Dagegen ließ die iranische Regierung erklären, sie habe nichts zu der Entscheidung zu sagen. Israel Vizeministerpräsident Schimon Peres, der den Preis 1994 erhielt, sagte, diese Entscheidung sei keine perfekte Wahl, da die IAEO-Kontrollen im Falle des Irans viele Lücken hätten.

Kritisiert wurde die Entscheidung des Nobelkomitees von Friedensorganisationen (siehe unten) und Umweltschützern. Besonders enttäuscht äußerte sich die Organisation der japanischen US-Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki, Nihon Hidankyo, die ebenfalls nominiert war und zu den Favoriten zählte. Deren Vertreter Senji Yamaguchi vermutete, das Komitee habe bei seiner Entscheidung auf die USA Rücksicht genommen. Er sagte, die IAEO müsse härter arbeiten, um eine Wiederholung der Tragödien von Hiroshima und Nagasaki zu verhindern.

Entsetzt über die Wahl zeigte sich auch ein Vertreter des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND). Die IAEO sei eine „geschickt aufgebaute Tarnorganisation der Nuklearindustrie“, sagte der Freiburger BUND-Regionalgeschäftsführer Axel Mayer. Die Behörde habe nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 die Folgen verschleiert.