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Archiv-Artikel

Mord an der Wahrsagerin

Literatur und Musik, Filme und Fotos: Am Mittwoch beginnen die Litauischen Kulturtage in Hamburg

Sie sitzen zwischen allen Stühlen: Abermals führt eine wichtige Gas-Pipeline – jene, die jüngst Bundeskanzler Gerhard Schröder gemeinsam mit Vladimir Putin beschloss – an ihnen vorbei, abermals gehören sie, obwohl seit Mai 2004 in der EU, in der Wahrnehmung der Nachbarn nicht so recht zum westeuropäischen Kulturkreis, obwohl etwa ihre Architektur kaum europäischer sein könnte: Von den Litauern ist die Rede, denen Literaturhaus, Frise, Metropolis und Logo vom 12. bis zum 23. Oktober spezielle Kulturtage ausrichten: Musiker, Autoren, Regisseure und Fotografen werden sich präsentieren und dabei wohl manche Gemeinsamkeit offenbaren mit der Vergangenheitsbewältigung der ehemaligen DDR. Denn 15 Jahre Nachwende-Geschichte sind, wie etliche Interviews zum Tag der Deutschen Einheit bewiesen, nicht gerade viel.

Eine gute Gelegenheit, den Blick auf die Befindlichkeit eines Nachbarn zu richten, dessen Literatur bislang – abgesehen von einem überstürzten Übersetzungs-Marathon wegen des Buchmessen-Schwerpunkts 2002 – nach wie vor kaum ins Deutsche übertragen ist und sich daher nicht eben leicht erschließen lässt. Jurga Ivanauskaite etwa, 2002 mit dem Roman Die Regenhexe in Erscheinung getreten, hat einen neuen Roman geschrieben, der Schicksalen im postkommunistischen Litauen nachspürt: Placebo verweist kaum zufällig auf ein gefühltes Demokratie-Defizit auch des neuen Systems und spürt – anhand des Mordes an einer Wahrsagerin – Verwerfungen der dortigen Gesellschaft nach.

Aus Vilnius stammte der 2002 verstorbene Ricardas Gavelis, dessen Erzählungen die sich rasant transformierende litauischen Gesellschaft beobachten und stalinistische Vergangenheit mit aktueller materieller Umverteilung kontrastieren. Auch Jurgis Kuncinas, dessen Protagonisten durch die sich wandelnde Hauptstadt ziehen, blickt in kontrastierende Stadtteile wie in einen Spiegel – nicht ohne eine große Portion Skurrilität, damit der Schmerz erträglich wird.

An anderer Stelle bieten Fotografen wie Romualdas Pozerskis – derzeit zu sehen in der Handelskammer – und der Foto- und Medienkünstler Vytautas Michelius in dokumentarischer Sachlichkeit beziehungsweise live gestalteter Performance eigene Porträts ihres Landes. Litauische Bands und Filme, die stets die Geschichte mit in den Blick nehmen, runden das Programm ab, das die Beantwortung der programmatischen Frage „Lieben Sie Litauen?“ eventuell erleichtern könnte. Petra Schellen

Musikalisch-literarischer Salon mit Rezitation aus Werken Gavelis‘ und Kuncinas‘, begleitet von Petras Vysniauskas (Saxophon) und Klaus Kugel (Schlagzeug): Mi, 12. 10.; Lesung mit Jurga Ivanauskaite: Do, 13. 10., jeweils 20 Uhr, Literaturhaus.Vernissage von Vytautas Michelius: Fr, 14. 10., 20 Uhr, Künstlerhaus Frise (Arnoldstr. 26). Konzert der Band SKAMP: Sa, 15. 10., 20 Uhr, Logo. Vier verschiedene Kinoabende: 20., 21., 22. und 23. 10., jeweils 19 Uhr, Metropolis