: An Nosferatus Tropf
In den Produktionen des Theaterfestivals „No Limits“ stehen behinderte und nichtbehinderte Schauspieler gemeinsam auf der Bühne – und testen mit Verve die Dehnbarkeit von Grenzen
VON ANNE KRAUME
„Nosferatu. Tönt dies Wort dich nicht an wie der mitternächtliche Ruf eines Totenvogels? Hüte dich, es zu sagen, sonst verblassen die Bilder des Lebens zu Schatten …“ So heißt es zu Beginn von F. W. Murnaus Stummfilm von 1922. Murnau erzählt die Geschichte von der Begegnung eines jungen Mannes mit dem Vampir Nosferatu. Anstatt bei der Beschreibung des vermeintlich Normalen stehen zu bleiben, lotet er in seiner Darstellung des Übernatürlichen bewusst alle möglichen Grenzbezirke der Seele aus.
Das Theaterensemble RambaZamba bildet das Zentrum des Berliner Vereins Sonnenuhr, der jetzt seinen 15. Geburtstag feiert: Die Kunstwerkstatt, die 1990 von den Theaterleuten Gisela Höhne und Klaus Erforth gegründet wurde, bietet seither Menschen mit geistigen Behinderungen die Möglichkeit, künstlerisch tätig zu werden: Es gibt Gruppen für Malerei und Fotografie ebenso wie für Keramik und eben vor allem für Theater. Rund um den Geburtstag des Vereins findet jetzt in Berlin das Internationale Theaterfestival „No Limits“ statt, das jetzt über zehn Tage ein Theater- und Performanceprogramm von verschiedenen integrativen Theatergruppen mit behinderten und nichtbehinderten Künstlern aus ganz Europa präsentiert. Entsprechend seinem Titel will das Festival Grenzen überschreiten – ästhetische ebenso wie gesellschaftliche; und womöglich ja auch, wie Murnaus „Nosferatu“, die Grenze zwischen dem, was als „normal“ empfunden wird und dem, was daneben übersinnlich, verrückt oder einfach nur fremd erscheint.
Am Samstag hatte zu Beginn des Festivals mit „Nosferatu – Die leeren Häuser“ eine Bühnenversion von Murnaus Stummfilmklassiker Premiere. Unter der Regie von Klaus Erforth verschreibt sich RambaZamba hier Grenzverschiebungen, die Murnaus Programm sehr angemessen sind: Im Hintergrund der Bühne läuft der Murnau-Film in fünf Akten ab, eine Stimme liest dazu die eingeblendeten Textpassagen vor und gerät manchmal ein bisschen ins Schleudern, wenn die Wörter oder der Satzbau zu kompliziert werden. Währenddessen robben im Vordergrund die Schauspieler über den Boden. Sie hängen mit Wasserflaschen am hochgereckten Arm sinnbildlich am Tropf und sprechen immer wieder Texte, die vordergründig mit Nosferatu wenig oder gar nichts zu tun haben. Aber alle treten als sezierte Leichen auf und tragen dazu pinkviolette Ganzkörperanzüge, die die Unterschiede zwischen behinderten und nichtbehinderten Schauspielern unsichtbar werden lassen. Wieder so eine Aufhebung von Grenzen.
Dass die Bilder des Lebens darüber nicht, wie es bei Murnau heißt, zu Schatten verblassen, das liegt nicht zuletzt an dem vielschichtigen Klangteppich, mit dem das Ganze unterlegt ist: Vom zarten Streicher-Säuseln bis zum blechernen Trommel-Scheppern oder grollenden Glockenspiel-Donner umfasst er alle nur denkbaren Geräusche und macht den Abend nicht nur zum multimedialen Spektakel, sondern zeigt auch deutlich, was Klaus Erforth tags zuvor gemeint hatte, als er über seine Schauspieler schlicht gesagt hatte: „Jeder kann irgendwas.“
Dieses „Jeder kann was“ ist das Motto, dem sich die verschiedenen Theatergruppen auf dem Festivals verschrieben haben, die Gäste ebenso wie die beiden Berliner Gruppen RambaZamba und Theater Thikwa. Das Stück, mit dem Thikwa auf dem Festival vertreten sein wird, hatte bereits vor zwei Wochen in der Tanzfabrik Premiere: „Mein Gott, wir hatten so viel Spaß“ heißt es, und es ist eine deutsch-polnische Koproduktion unter der Regie von Manfred Olek Witt.
Wie verschiedene Traumsequenzen reihen sich in dem Stück Episoden aneinander, in denen die Schauspieler langsame Bewegungen vollziehen, wenig Text sprechen und immer wieder in sorgfältig komponierten Mustern verharren und die Zeit verstreichen lassen. Die Performance bekommt dadurch einen Schein von bildender Kunst, mehr vielleicht sogar als von Choreografie. In den besten Szenen gelingt das auch gut, etwa wenn sich alle Schauspieler hinter waagrecht aufgerichteten weißen Matratzen verbergen und abwechselnd jeweils ein Bein, einen Arm oder einen Kopf in rhythmischen Bewegungen über den Matratzenrand nach oben strecken. Hier verschwimmen die äußerlichen Unterschiede der Akteure in der Einheit des Bildes. Leider sind solch geglückte Szenen aber die Ausnahme – allzu oft wirken die Passagen wackliger und unsicherer. Ein wenig, als hätte man dem Grundsatz „Jeder kann was“ ein bisschen zu ausgiebig gehuldigt, kommt hier auch derjenige ausführlich zu seinem Recht, der nur die auf dem Boden liegenden Fechtmasken in einer Reihe anordnet. Dadurch wirkt die Folge der einzelnen Szenen zuletzt doch ein wenig laienhaft.
Das Schweizer Theater Hora steht seit Jahren mit RambaZamba im Austausch – zuletzt waren die Berliner mit ihrer Woyzeck-Inszenierung zu Gast in Zürich. „Man kennt sich“, sagt Klaus Erforth von RambaZamba dazu einfach. Die Züricher haben nun das Stück, das sie heute und morgen im Rahmen des Festivals spielen werden, ein wenig provokativ „Die Lust am Scheitern“ genannt, und sie versprechen dazu Improvisationen, die jeden Abend anders ausfallen und eben auch scheitern können. Hierin zeigt sich, was den Kern des ganzen Festivals ausmacht: der Optimismus der vielen unterschiedlichen Inszenierungen nämlich und die Freude am Spielen – und dazu gehört eben auch die Lust am Scheitern.
Gesamtprogramm des Festivals „No Limits“ unter www.no-limits.festival.de