piwik no script img

Archiv-Artikel

Jeder Fünfte ist „Risikoschüler“

FÖRDERUNG Migrantenkinder holen auf, doch Bildung hängt stark von der sozialen Herkunft ab

BERLIN taz | Grundschüler mit Migrationshintergrund sind Gewinner der beiden internationalen Schulleistungsuntersuchungen Iglu und Timss, die Dienstag in Berlin vorgestellt wurden. Trotzdem hängen Bildungschancen hierzulande weiter stark von der Herkunft ab. Der Rückstand von Migrantenkindern gegenüber deutschstämmigen Schülern hat sich verringert: Bei der letzten Iglu-Studie vor sechs Jahren hatten Kinder, deren Eltern im Ausland geboren wurden, auf der Leseskala 48 Punkte weniger erreicht als ihre deutschstämmigen Altersgenossen – inzwischen beträgt der Abstand nur noch 31 Punkte.

Der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe (SPD), der derzeit der Kultusministerkonferenz vorsteht, führte dies auf den „kraftvollen Ausbau der Sprachförderung“ in den vergangenen Jahren zurück. Zum Zurücklehnen bestehe dennoch kein Anlass, mahnte Studienleiter Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Uni Dortmund: Immer noch gelingt es anderen Ländern deutlich besser, Migranten in der Schule zu integrieren. Im EU-Schnitt beträgt der Rückstand von Migrantenkindern beim Lesen 27 Punkte; in den Niederlanden, England und Frankreich liegen einheimische und Zuwandererkinder deutlich näher beieinander. Überraschend auch: Der überwiegende Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund spricht zu Hause Deutsch. „Man kann schwerlich in Deutschland von einer Parallelgesellschaft sprechen“, meinte Studienleiter Bos.

Insgesamt rangieren Deutschlands Grundschüler im internationalen Vergleich im Lesen, in Mathematik und den Naturwissenschaften im oberen Drittel. Und: Lesen ist in bei den Jüngsten. „Unsere Kinder lesen viel, und sie lesen gerne“, sagte Bos. Im Vergleich zur letzten Iglu-Studie ist der Anteil der Lesemuffel gesunken: Nur noch 11 Prozent gaben an, dass sie nie oder fast nie außerhalb der Schule zum Vergnügen lesen.

Auch die Geschlechterunterschiede lassen der Studie zufolge nach: 2001 hatten Mädchen noch einen Vorsprung von 13 Punkten auf der Leseskala, inzwischen sind es nur noch 8 Punkte. Doch es gibt weiterhin Schattenseiten: Der Anteil der Risikoschüler sinkt kaum. 15,4 Prozent der Schüler erreicht nur eine der untersten Kompetenzstufe im Lesen, 2006 waren es 16,9 Prozent. Diese Schüler sind nicht in der Lage, verstreute Informationen in einem Text sinnvoll miteinander zu verknüpfen.

In der Mathematik ist der Anteil sogenannter Risikoschüler ebenfalls nur marginal von 21,5 auf 19,3 Prozent gesunken. Im internationalen Vergleich bewegt sich Deutschland damit durchaus im Rahmen des Üblichen. Es gibt allerdings Länder, die deutlich weniger Kinder abhängen (siehe Grafik unten). In den Niederlanden etwa ist der Anteil der Kinder, die am Ende der Grundschulzeit nicht ausreichend lesen können, nur halb so groß wie hierzulande.

Dem hohen Anteil der Risikoschüler steht eine vergleichsweise schmale Spitzengruppe gegenüber. 9,5 Prozent der Grundschüler sind den Forschern zufolge Top-Leser; 5,2 Prozent erreichen Bestwerte beim Rechnen. In England zum Beispiel rangieren dagegen 18 Prozent der Schüler ganz oben. „Die Leistungsspitze muss größer werden“, meinte Rabe. BERND KRAMER