Der Tatort muss besser werden!

Die Wunder der Demokratie und die Verantwortung der Literatur: eine Diskussion im Roten Rathaus in Berlin

Schon die Eingangsfragen, die der Moderator Michael Schindhelm reihum stellte, ließen ahnen: Diese Diskussion im Wappensaal des Roten Rathauses in Berlin, in der es um die „Wunder der Demokratie“ und die Verantwortung der Literatur gehen sollte, würde eine schwierige werden, ja ein Paradebeispiel dafür, wie fünf Leute auf einem Podium bei allen zarten und handfesten Gemeinsamkeiten völlig unterschiedliche Sprachen sprechen.

Es begann also der Schriftsteller Matthias Politycki kurz zu erläutern, was er schon einmal in einem mysteriös-saftigen Essay für die Zeit lang und breit erläutert hatte: Wie sehr er nämlich einerseits das hiesige „Wunder der Demokratie“, aber auch das „wirkliche Leben“ auf Kuba schätzen gelernt habe, wo er sich für seinen Roman „Herr der Hörner“ länger aufgehalten hatte. Allen Ernstes berichtete Politycki, dass sein kubanischer Aufenthalt für ihn ein Kampf ums Überleben gewesen sei, zwar immer mit ein paar Dollar irgendwo tief in der Hosentasche, zwinker, zwinker, aber doch, ja; außerdem musste er sich dort als „Schlappschwanzeuropäer“ (kubanische Lesart) heftigst der vitalen Einheimischen erwehren.

Es folgten Polityckis Kollegin Sibylle Lewitscharoff mit Ausführungen zu den „Differenzen zwischen den Menschen, die niemand mehr versteht“ (die Differenzen), und die auch von Gott nicht so gewollt seien, und die RBB-Intendantin Dagmar Reim mit Ausführungen zu „Medienhype“ und „Journalistenblasen“, die sie zu der umwerfenden Erkenntnis führten: „Früher war das Leitmedium der Spiegel, heute ist es die Bild-Zeitung.“ Soso.

Noch nicht genug des „Wunder der Demokratie“-Themenspektrums – Kuba/Überlebenskampf, soziale Ungleichheiten/Gott, Medienmacht/Boulevardzirkus – stellte dann noch der Politologe Herfried Münkler seine Arbeit an der Marx-Engels-Gesamtausgabe vor und erklärte, dass Marx der letzte deutsche Universalgelehrte gewesen sei und Engels, der nach Marx’ Tod das „Kapital“ erst vollendet hatte, der erste Marxist.

Tja, und nachdem man sich solcherart eingegroovt hatte, konnte es losgehen mit dem Aneinandervorbeireden und dem Nichtverstehen. Es schwirrten das „Unbehagen an den Erscheinungsformen der Demokratie“ (Politycki) und die „Spanne zwischen Erfahrungraum und Erwartungsraum“ (Münkler) genauso durch den Wappensaal des Roten Rathauses wie ein Lob von Reim für Günter Grass („so authentisch in seinem senfgelben Cord-Anzug“) und Lewitscharoffs muntere, völlig deplatzierte Ausrufe: „Ändern Sie den deutschen Tatort! Verschaffen Sie ihm bessere Drehbücher! Die Tatort-Kommissare sollen sich ein Beispiel nehmen an den amerikanischen Fernsehkommissaren: Die wollen ermitteln, wollen Aufklärung! Amerikanische Fernsehserien sind aufklärerisch und glamourös!“

Immerhin ließ sich in Folge erkennen, dass die Diskutanten sich auf zwei Feldern einig waren: in der Verdammung der Massenmedien, der Kommerzialisierung des Fernsehens, der Volksverdummung. Für Münkler etwa war ganz klar, dass die Einführung des Privatfernsehens das Pisa-Desaster zu verantworten habe und das Ganze ein typisches Versagen der Politik sei, und Dagmar Reim als Medienfrau brach nicht nur gern eine Lanze für die SZ-Bibliothek und die wunderbare Berliner Hochkultur, sondern wünschte sich in schwachen Stunden tatsächlich die ARD-ZDF-Gemütlichkeit der frühen Fernsehzeit zurück.

Bei so viel raunenden Kulturpessimismus war die andere Übereinstimmung der fünf nachgerade eine nachvollziehbare Erweckung: dass sich doch bitte die Mitte der Gesellschaft wieder öfters zu Wort melde, das mittlere und hohe Bürgertum, nicht nur der weiße Trash in den Talkshows. Als gute Beispiele sahen sie da Frau Lewitscharoff, auch wenn sie zugab, dass es bei Ihresgleichen noch immer psychische Barrieren gebe, „dieses Land zu lieben“, und natürlich Matthias Politycki. Ihn zieht es, das weiß man ja seit seinem „Relevanten-Realismus“-Erguss ebenfalls zuletzt in der Zeit, mächtig in die Mitte der Gesellschaft zur machtvollen Worterhebung.

Ob sich aber mehr Bürger aus der Mitte der Gesellschaft auf ähnliche Podien wagen, um die Meinungshoheit zu übernehmen, darf nach einer komisch-wirren Diskussion wie dieser bezweifelt werden. GERRIT BARTELS