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Archiv-Artikel

„Willkommenskurse“ für Spätaussiedler

60 Jahre nach seiner Gründung haben sich die Aufgaben des Durchgangslagers Friedland gewandelt

FRIEDLAND taz ■ Großer Auftrieb gestern im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen. Bundespräsident Horst Köhler und Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) waren gekommen, um das 60-jährige Bestehen des Lagers zu feiern. Und an die Rückkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion vor 50 Jahren zu erinnern – sie waren über Friedland zu ihren Familien zurückgekehrt.

Als der von den Nationalsozialisten losgetretene Zweite Weltkrieg vorbei war, herrschten überall in Deutschland Hunger, Chaos und Verzweiflung. Millionen Flüchtlinge und Vertriebene irrten über die Straßen, die Versorgung der Menschen mit Kleidung und Nahrungsmitteln sowie der öffentliche Verkehr waren zusammengebrochen. In Friedland, wo drei Besatzungszonen aneinander stießen und es einen Bahnhof und eine große Straße gab, ordneten die Alliierten die Einrichtung eines Auffanglagers an. Als Gründungsdatum gilt der 26. September 1945.

Nach Vertriebenen und entlassenen Kriegsgefangenen fanden auch politische Flüchtlinge und Asylbewerber vorübergehend Aufnahme in Friedland. Rund 3.000 Ungarn, die nach dem gescheiterten Aufstand ihr Land verlassen hatten, erreichten das Lager 1956. In den 60er-Jahren kamen verfolgte Pinochet-Gegner aus Chile, später „Boat People“ aus Vietnam oder Flüchtlinge aus Albanien. Bislang passierten insgesamt mehr als vier Millionen Menschen das auch von Köhler gestern so genannte „Tor zur Freiheit“.

Heute ist das Grenzdurchgangslager Friedland die einzige Erstaufnahme-Einrichtung für Spätaussiedler und ihre Angehörigen. Sie kommen fast ausschließlich aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Die rund 2.600 Betten reichen aus, um jährlich 100.000 Personen für jeweils sieben Tagen aufzunehmen. Tatsächlich sind die Zahlen rückläufig, in diesem Jahr rechnet die Lagerverwaltung nur mit rund 40.000 Aussiedlern.

Seit Anfang des Jahres werden im Lager „Willkommenskurse“ angeboten. Für Aussiedler, die in Niedersachsen bleiben, sind sie obligatorisch. Bestandteile der Kurse sind ein einwöchiges „Sprachatelier“ sowie sechs Informationsveranstaltungen. Sie sollen die Aussiedler in ihren ersten Wochen in Deutschland auf das Leben in der neuen Heimat vorbereiten und Grundlagen der deutschen Alltagssprache vermitteln.

Forscher der Universität Göttingen begleiten die Initiative. Nach Einschätzung der Sprachwissenschaftlerin Hiltraud Casper-Hehne hat das Konzept bislang eine „optimale Akzeptanz“ gefunden. „Nicht nur die einzelnen Unterrichtsverfahren erhielten eine ausnehmend positive Bewertung, auch das Sprachatelier insgesamt wurde von mehr als neunzig Prozent der Zuwanderer für eine gute bis sehr gute Hilfe zur zügigen Eingewöhnung in Deutschland angesehen“, sagt die Wissenschaftlerin. Lediglich bei einigen Informationsveranstaltungen, etwa zu den Themen Kranken- und Pflegeversicherung, müsse noch „nachjustiert“ werden.

Weitgehend unberücksichtigt bleiben bei den Kursen allerdings die konkreten Lebensbedingungen, mit denen die meisten Aussiedler nach ihrer Abreise aus Friedland konfrontiert sind. Häufig wohnen sie in eigenen Siedlungen, Drogenkonsum und Kleinkriminalität sind nach Angaben von Sozialarbeitern weit verbreitet. REIMAR PAUL